© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/10 15. Januar 2010

Meldungen

Rußland-Schelte: Leben im Land der Schäbigkeit

STUTTGART. Bald nach dem Ende der UdSSR traf Jonathan Brent in Moskau ein, um für die Yale University Press einen Zugang zu den Archiven des Kreml zu öffnen. Wie die zwei Dutzend Bände der bislang nicht ins Deutsche übersetzten Aktenpublikation „Annals of Communism“ eindrucksvoll bestätigen, erwies sich Brent als geschickter Wissensmanager der heute lange versiegten russischen Dokumenten-Quellen. Was bislang erschienen ist, zerstört jedoch selbst die allerletzten Legenden über das rote „Menschheitsprojekt“. So dokumentieren von blanker „Mordgier“ diktierte Erlasse Lenins etwa, wie abwegig es ist, die „Schuld“ für die Schreckensherrschaft im „Sowjetparadies“ nur bei Stalin zu suchen. Daß solche Entmythologisierung gegen viele Widerstände im „neuen Rußland“ ins Werk zu setzen war, beschreibt Brent in „Inside the Stalin Archives“ (New York 2008). In welchem Umfang er damit auch „Belastungsmaterial“ gegen die derzeit herrschenden „lupenreinen Demokraten“ in Moskau anhäuft, meint Gary Saul Morsons Rezensionsessay im Merkur (12/09) scharf konturieren zu müssen. Rußland, so lasse sich Brents Report zuspitzen, habe sich „vom totalitären Terror zu einer mafiaähnlichen Gangsterbande entwickelt“. Die Mafia herrsche, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen, weil es keine Gesetzlichkeit gebe. Und mit Ausnahme „einiger Inseln obszönen Reichtums“ bleibe es das „Land der Schäbigkeit“. An die Stelle des Terrors sei die Korruption getreten. Der willkürliche Machtgebrauch stehe in der Kontinuität „stalinistischer Praktiken“.

 

Sicherheitspolitik und Klimawandel

BERLIN. Die regelmäßig eher alarmistische Friedens-Warte eröffnet ihr jüngstes Heft zum Thema „Klimawandel und Gewaltkonflikte“ einmal zukunftsfroh: „die Welt“ werde „grundsätzlich friedvoller“. Leider drohe dieser schnurgerade Weg ins Paradies durch das „Schreckgespenst Klimawandel“ verbaut zu werden. Obwohl vieles noch nicht erforscht sei, so Nils Peter Gleditsch und Ragnhild Nardås, und es daher keinen Grund gebe, „apokalyptische Szenarien heraufzubeschwören“, ließen sich doch einige „sicherheitsrelevante Folgen“ als gewiß annehmen. Häufiger auftretende Naturkatastrophen, die beide in den nächsten Jahrzehnten vor allem auf die südliche Hemisphäre zukommen sehen, dürften dort die „Last der Unterentwicklung“ verstärken. Abgesehen vom dadurch ausgelösten, seit langem diskutierten „Migrationsdruck“, der verstärkt Europa treffe, dürften „lokale Konflikte“ sich in Regionen verschärfen, die, so Helmut Breitmeier in einem ergänzenden Beitrag, von „fragiler Staatlichkeit“ geprägt seien. Anpassung an Klimawandel und Gewaltprävention könne in solchen Gesellschaften kaum erwartet werden.

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