© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Wir sind die Guten!
Globalisierung: Sind Nichtregierungsorganisationen Wegbereiter einer „neuen Weltordnung“?
Michael Wiesberg

Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben seit dem Ende der „Blockkonfrontation“ 1989/90 und der in der Folge mit aller Vehemenz einsetzenden Globalisierung eine erstaunliche Entwicklung genommen. Organisationen wie Greenpeace, Transparency International oder auch das Netzwerk Attac, dessen deutscher Ableger in diesen Tagen zehn Jahre alt wird und dem Jusos genauso wie der Bundesverband GEW, der BUND und andere mehr angehören, sind längst zu einer festen Marke geworden. Das spiegelt sich unter anderem in einer ständigen Medienpräsenz wider. Damit korrespondiert ein steigender politischer Einfluß, was zwangsläufig die Frage nach der Legitimation von Organisationen aufkommen läßt, die weder einer institutionalisierten öffentlichen Kontrolle unterliegen noch demokratisch legitimiert sind.

Dessenungeachtet wächst die Zahl der Nichtregierungsorganisationen seit 1990 beständig an. Wurden weltweit 1991 noch 4.620 – verstanden als internationale Organisationen, die durch kein öffentliches Mandat legitimiert sind – gezählt, waren es 2007 bereits 7.628. Wird der Begriff NGO inhaltlich weiter gefaßt und private Akteure wie Wohlfahrtsverbände, international agierende Gewerkschaften, Hilfsorganisationen etc. hinzugezählt, kommt man bereits auf rund 21.000 weltweit.

Dieses erstaunliche Wachstum kann nur eine Ursache haben: NGOs sind politisch gewollt und erwünscht. Sie sollen auf globaler Ebene so etwas wie ein geopolitisches Instrument der „Zivilgesellschaft“ darstellen und Themen wie Umweltschutz, Menschenrechte oder „soziale Gerechtigkeit“ zur Sprache zu bringen, die nur noch grenzüberschreitend gelöst werden können. Damit stoßen sie auch in Bereiche vor, aus denen sich der Staat infolge knapper Mittel zurückgezogen hat.

Weiter übernehmen sie Kontrollfunktionen im Hinblick auf andere global agierende Instanzen, die nicht demokratisch legitimiert sind (zum Beispiel im Bereich Wirtschaft und Finanzen). NGOs sollen also, versucht man hier eine Quersumme zu ziehen, auf globaler Ebene das Wechselspiel von „checks and balances“ (Kräften und Gegenkräften) garantieren, das durch die Globalisierung immer wieder aus dem Gleichgewicht zu geraten droht. Sie sind Ausdruck einer „Weltordnungspolitik“ (Global Governance), mittels deren globale Probleme im Konsens zwischen nationalstaatlichen Instanzen und „unabhängigen Organisationen“ gelöst werden sollen.

Der Anspruch aber, den die „Zivilgesellschafts-Linken“ mit Blick auf NGOs erheben, geht weiter, nämlich „jenseits der repräsentativen Institutionen des nationalstaatlichen Systems“ in „Form massenhafter Selbstorganisation von Individuen“ „direkte Politik“ zu treiben; so drückte es der deutsche Soziologe Ulrich Beck aus. Diese mannigfaltigen Aufgabenzuweisungen scheinen Nichtregierungsorganisationen nicht nur von der theoretischen Seite deutlich zu überfrachten, sondern auch von der praktischen. Sie verweisen zwar darauf, im Gegensatz zu Parteien nicht ständig Kompromisse eingehen zu müssen und sich deshalb „für die Sache“ engagieren zu können. Mit einem gewissen Recht entgegnen Kritiker hierauf aber, daß sie aufgrund finanzieller Abhängigkeiten gegenüber Geldgebern und Spendern „in der Sache“ nicht unabhängig sein können. Zudem fließen nicht selten auch öffentliche Zuschüsse in die Arbeit der NGOs. Die Nähe zu politischen Institutionen ziehe, urteilt der Politologe Lutz Schrader, „nicht selten personelle Verflechtungen“ nach sich. So könne es vorkommen, daß „NGO-Spitzenkräfte über Parteibücher verfügen, ihr Geld in Staatseinrichtungen verdienen oder zumindest auf dem Sprung dorthin sind“.

Verflechtungen sind überdies im Medienbereich anzunehmen, hängt doch für NGOs vieles am öffentlichen Ansehen und an ihrer Glaubwürdigkeit. Entsprechend „mediengerecht“ werden deren Kampagnen geplant. Kommt es zu einem „kommunikativen Unfall“, wie es Greenpeace 1995 im Fall des schwimmenden Öltanks Brent Spar unterlaufen ist, hat das gravierende Konsequenzen. Greenpeace meldete eine weit überhöhte Restmenge an Ölschlämmen auf Brent Spar und mußte sich dafür bei dem Betreiber Shell entschuldigen. Darüber hinaus ergaben Recherchen, daß der Umweltschaden bei einer Versenkung von Brent Spar minimal gewesen wäre. Noch zehn Jahre nach diesem GAU bemühte sich Greenpeace, den kommunikativen Schaden in einer Broschüre aufzuarbeiten. Dennoch ist Greenpeace, das bis heute mit dem Anspruch auftritt, öffentliche Güter zu schützen, und damit quer durch alle Altersgruppen „Identifikationsmöglichkeiten“ bietet, attraktiv geblieben. Insbesondere junge Leute lassen sich von Nichtregierungsorganisationen, die für sich beanspruchen, aktiv für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, für soziale Gerechtigkeit, gegen „neoliberale Politik“, für Gesundheit und dergleichen mehr einzutreten, auch zu mitunter gefahrvollen Einsätzen motivieren.

Dieses scheinbar so attraktive, medial kolportierte Erscheinungsbild kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Anspruch und Wirklichkeit von Nichtregierungsorganisationen aufgrund ihrer inneren Verfaßtheit und ihrer Abhängigkeiten zwangsläufig auseinanderklaffen müssen. Hinter den NGOs stehen, man halte sich nur die vielen Mitgliedsorganisationen von Attac Deutschland vor Augen, die unterschiedlichsten Interessengruppen mit den unterschiedlichsten Zielen, nicht aber so etwas wie der Konsens weiter Teile der Bevölkerung. Deshalb sind NGOs bestenfalls selbsternannte „Anwälte der Zivilgesellschaft“, die das Demokratieproblem auf globaler Ebene nicht lösen können. Und schon gar nicht sind sie geeignet, die Rahmenbedingungen der Globalisierung entscheidend zu verändern oder zu „humanisieren“, wie sich das inbesondere Teile der politischen Linken erhoffen.

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