© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Leere Erklärungen
Die Union und die konservativen Werte: Eine verdrängte Schicksalfrage
Jürgen Liminski

Es fehlt noch ein Satz in der Berliner Erklärung der CDU: „Wir bekennen uns zum Wetter, es ist alternativlos.“ Ansonsten sind sie da, die großen Bekenntnisse der angeblich christlichen Volkspartei: die Mitte, das christliche Menschenbild, die Werte, das Fundament. Interessant wäre ein Gegentest bei Spitzenpolitikern der Grünen und der SPD. Wahrscheinlich ergäbe er ein ähnliches Ergebnis wie bei der Union. Und das ist ja auch ausdrücklich gewollt: Man will offen und koalitionsfähig sein für Grüne und SPD.

Diese Koalition ist so konservativ wie das Wetter, die Berliner Erklärung ein Dokument des Relativismus. Wenn aber nur noch klar ist, wohin eine Partei inhaltlich wandert, und nicht mehr, wofür sie steht, dann trifft die Analyse der Neuen Zürcher Zeitung ins Schwarze: „Programmatische Beliebigkeit erleichtert zweifellos den Zugang – aber eben auch den Absprung.“ Daraus muß man folgern, daß der CDU-Spitze heute der Zugang linker Wähler wichtiger ist als der Absprung ehemaliger Stammwähler.

Genau diese einfache Rechnung machen jetzt die katholischen und konservativen Kreise auf. Da nützt es vermutlich nicht viel, daß der neue Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans Gert Pöttering, völlig zu recht auf das große Verdienst der Gründerväter der CDU hinweist, denen es gelungen ist, die konfessionellen Trennungen zu überwinden und so erst eine Volkspartei im bikonfessionellen Deutschland zu schaffen. Zu dieser Überwindung gehörte es, daß ein Evangelischer Arbeitskreis institutionalisiert wurde, weil die damals schon stark unterschiedlichen Sprengel der protestantischen Kirche auseinanderstrebten und nur so politisch-institutionell gebündelt werden konnten.

Das ist bei den Katholiken anders. Sie haben ein Lehramt und allenfalls mit der Säkularisierung und sich selbst zu kämpfen, eine politische Repräsentanz schafft Parallelstrukturen, die die Ent-Christlichung der CDU nur übertünchen.

Die Kanzlerin und ihre Führungscrew muß sagen, was sie unter konservativ verstehen. Aber sie haben bisher nach dem Motto regiert: „Dort geht mein Volk, ich muß ihm hinterher, ich bin sein Führer.“ Dieses Motto Talleyrands paßte zu der Großen Koalition. Da konnte Merkel  präsidieren und moderieren, sie konnte ihre Entscheidungsschwäche als Stärke auslegen (lassen). In einer bürgerlichen Koalition, die wegen bestimmter Inhalte und Erwartungen gewählt wurde, geht das nicht mehr.

Diese Inhalte werden nun zur Schicksalsfrage der Union. Die Partei kann nicht mehr nur Sozialklempnerei betreiben, wenn ein Gesellschaftskonzept gefragt ist. Sie kann nicht mehr Steuerpolitik nach dem Gießkannenprinzip ausüben, wenn die soziale Mitte schmilzt. Auch in der Außenpolitik sind Konzepte gefragt, in Europa wie am Hindukusch und anderen Brennpunkten der Welt.

Das Christliche hatte der Partei eine Politik aus einem Guß gegeben, weil es ein Koordinatensystem bietet, in dem der Mensch über Detailfragen hinaus seinen Platz in der Welt finden konnte. Dazu braucht es keine tausend Programme. Die Zehn Gebote wären Richtschnur genug, etwa der Satz „Du sollst nicht töten“ (Abtreibung) oder das Vierte Gebot (Generationenvertrag und Generationengerechtigkeit).

Es geht nicht um Kirchenbindung, es geht um Bindung überhaupt, um das personale Menschenbild und die damit verbundene Natur des Menschen. Wer sich dazu bekennt, der bekennt eine Schöpfungsordnung, zu der auch Ehe und Familie und auch angeblich verstaubte Begriffe wie Vaterland, Ehre und Wahrheit gehören. Und der Bekennende bindet sich an diese Ordnung aus freien Stücken, weil er glaubt, daß sie gut und richtig ist. Daraus ergeben sich dann Entscheidungen, etwa im Bereich des Lebensschutzes. Denn das Bekenntnis enthält ein Konzept von Freiheit, das sich unterscheidet von dem Konzept der Autonomie der 68er.

Freiheit zu ist das Lebensprinzip der Konservativen und nicht Freiheit von. Freiheit als „tätige Kraft“ (vis operans, nannte es Thomas von Aquin), als Entscheidungskraft und nicht als Option, die ständig offengehalten wird. Nicht die Werte haben sich gewandelt, sondern das Bekenntnis zu ihnen. Im freien Bekenntnis zu den „Werten von immer“ (so definierte Chateaubriand das Konservative) trotz wandelnder Umstände liegt die Kraft eines zukunftsfähigen Konservatismus.

Diese Kraft ist in der Berliner Erklärung nicht zu spüren. Die Parteispitze hat Angst. Sie wird aber nur dann an der Macht bleiben können, wenn sie mit der CSU an die 40 Prozent heranreicht. Dafür muß sie, statt links zu wildern, ihre verlorenen Wähler wieder sammeln. Die CSU könnte sie erreichen, denn sie hat noch programmatische Substanz – aber sie müßte bundesweit antreten. Sie stand schon einmal vor dieser Frage. 1977 aber verhinderten die Barone in der Partei diese Strategie von Strauß mit dem Argument: Dann verlieren wir die absolute Mehrheit in Bayern. Die ist jetzt sowieso perdu. Eine bundesweite CSU würde die Vertriebenen „heimholen“ und auch die Wertkonservativen. Vielleicht bricht die Diskussion wieder auf, wenn Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen verliert. Ob jetzt oder später – die inhaltliche Debatte läßt sich nicht mehr mit einer programmatisch leeren Erklärung wegwischen.

Foto: „Nee, nee, Kinder, da lassen wir schön die Finger von!“

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