© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Ab durch die Mitte
Kursbestimmung: CDU-Chefin Angela Merkel hat sich gegen jene Kritiker durchgesetzt, die mehr Konservatismus wagen wollen
Felix Krautkrämer

Am Ende entpuppte sich der Zwist um das künftige Profil der CDU dann doch als der vielzitierte „Sturm im Wasserglas“. Mit demonstrativer Einstimmigkeit billigte der Parteivorstand am vergangenen Freitag die „Berliner Erklärung“, in der die Partei ihre programmatische Verortung skizziert. In dem zehnseitigen Papier wird der von Parteichefin Angela Merkel seit längerem konsequent verfolgte Kurs einer Öffnung der CDU für neue Wählerschichten links der politischen Mitte bestätigt. Kritiker, die angesichts des schlechten Abschneidens der Christdemokraten bei der Bundestagswahl eine Rückbesinnung auf die Stammwähler der Union und eine Profilschärfung der Partei gefordert hatten, konnten sich dagegen nicht durchsetzen.

Zwar heißt es in der Erklärung, man wolle die eigene Klientel binden, doch der Schwerpunkt liegt auf der Gewinnung neuer Wähler: zum Beispiel solcher, die ihr Kreuz bisher bei der SPD gemacht haben. Zudem will sich die CDU, die sich nach eigenen Angaben der Idee der „Chancengleichheit“ verpflichtet fühlt, vermehrt darum bemühen, „Menschen für die Mitarbeit in unseren Reihen gewinnen, die in unser Land zugewandert sind oder aus Zuwandererfamilien stammen“. Der dauerhafte Erfolg der Gesellschaft hänge nicht zuletzt davon ab, inwieweit auch für diese Menschen Aufstieg durch Leistung „erlebbar“ werde. Konservative Anhänger der Union dürften über das Ergebnis der Klausurtagung eher enttäuscht sein: „Moderne bürgerliche Politik“ speise sich aus „christlich-sozialem, liberalem und konservativem Denken“ – über derartige Formulierungen geht die Berliner Erklärung nicht hinaus.

Um so überraschender war es, daß einer der schärfsten Kritiker des derzeitigen Unionskurses, der thüringische CDU-Fraktionschef Mike Mohring, sich recht zufrieden zeigte. Die Berliner Erklärung mache klar, daß die CDU sich als Volkspartei um alle ihre Strömungen, auch die konservative, kümmern müsse, sagte Mohring dem Deutschlandradio Kultur. Der 38 Jahre alte CDU-Politiker hatte vor zwei Wochen gemeinsam mit den Fraktionsvorsitzenden von Sachsen und Hessen, Steffen Flath und

Christean Wagner, sowie der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden von Brandenburg, Saskia Ludwig, in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine  Sonntagszeitung Merkels Führungsstil kritisiert sowie der Union mangelndes Profil vorgeworfen und damit für Wirbel gesorgt (JF 3/10).

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT hatten Flath und Mohring ihre Kritik vor der Klausur bekräftigt. Während Flath einen konservativen Vertreter für den Parteivorstand sowie eine stärkere Berücksichtigung von Themen wie Familie, Lebensschutz und Patriotismus forderte, sprach sich sein Thüringer Kollege dafür aus, „dem Stolz auf unser Land mehr Raum“ zu geben. Nur so könne die Integration der zunehmend heterogenen Gesellschaft besser gelingen. „Es muß erstrebenswert sein, dazuzugehören“, sagte Mohring.

Aufregung um Aussagen in der JF

Erwartungsgemäß ließen die Reaktionen der politischen Konkurrenz nicht lange auf sich warten. Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im sächsischen Landtag, André Hahn, bezeichnete Flath als „politischen Geisterfahrer“ mit „rechter Schlagseite“, Offenbar seien bei Flath die „politischen Sicherungen durchgebrannt“, wenn er jetzt in der JUNGEN FREIHEIT für Patriotismus werbe. In Thüringen empörte sich die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anja Siegesmund: Wie denn der Umgang mit einer immer heterogeneren Gesellschaft gelingen solle, wenn Nationalismus um sich greife? Natürlich müsse man sich dringend mit Integrationspolitik beschäftigen, aber solche Aussagen seien dabei nicht hilfreich und die JF sicherlich nicht das richtige Medium. Parteifreundin Astrid Rothe-Beinlich verstieg sich sogar zu der Aussage, daß der übersteigerte Stolz auf die deutsche Nation „dazu führte, daß Asylbewerber­Innenheime in Deutschland brannten und Menschen mit anderer Hautfarbe oder einem alternativen Kleidungsstil immer wieder durch Straßen deutscher Städte gejagt“ würden. Auch die thüringische Linkspartei sparte nicht mit Kritik. Fraktionschef Knut Korschewsky warf Mohring vor, am rechten Rand zu fischen, was unerträglich sei. Thüringens CDU-Vorsitzende Christine Lieberknecht müsse Farbe bekennen und Mohring zurückpfeifen. „Die gefährliche Erosion der Abgrenzung zum rechten Rand muß in der Thüringer CDU ein Ende haben“, forderte Korschewsky. Ministerpräsidentin Lieberknecht verteidigte jedoch Mohring. Dieser habe nur auf Bedürfnisse in der Partei aufmerksam machen wollen, was ein „völlig normaler Vorgang“ sei, zitierte sie die Südthüringer Zeitung. Zwar teile sie nicht jede seiner Aussagen, dennoch halte sie die Debatte für notwendig.

Daß für viele in der CDUnach wie vor Gesprächsbedarf über den Kurs der Partei besteht, scheint auch Angela Merkel eingesehen zu haben. Die Kanzlerin kündigte an, sich mit der Führung des jüngst gegründeten Arbeitskreises Engagierter Katholiken (AEK) zu treffen (JF 49/09), um über dessen Kritik am Profil der CDU zu diskutieren.

Die Berliner Erklärung im Internet: www.cdu.de

Foto: CDU-Chefin Angela Merkel am vergangenen Freitag bei der Vorstellung der „Berliner Erklärung“: Das Parteivolk diszipliniert?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen