© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Die Kassandra der Union
Karriere: Kurt Biedenkopf geriet häufig in Konflikt mit der CDU-Führung, trotzdem stieg er zu „König Kurt“ auf. Jetzt feiert er seinen 80. Geburtstag
Paul Rosen

Er sieht die Dinge so, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollen. Das hat Kurt Biedenkopf fast zeitlebens unbeliebt gemacht. Wahlen gewann der CDU-Politiker erst, als er als Leihgabe aus dem Westen 1990 Ministerpräsident in Sachsen wurde und seinen Ruf mit dem volkstümlichen Titel „König Kurt“ krönen konnte. Am 28. Januar wird der streitbare Professor, der Ende der sechziger Jahre Gründungsrektor der Universität Bochum war und später eine von Höhen und Tiefen gekennzeichnete Karriere in der CDU begann, 80 Jahre alt.

Für die Bonner Politik war der Jurist und scharfsinnige Analytiker eher ungeeignet. Seine großen Gegenspieler Helmut Kohl („Blühende Landschaften“) und Norbert Blüm („Die Rente ist sicher“) verstanden es allemal besser, beim Volk Punkte mit haltlosen Versprechen zu machen als der die Wahrheit liebende und gerne dozierende Professor, der stets vor dem Zusammenbruch der Rentenversicherung gewarnt hat und jetzt die ganz großen Risse im System beobachtet: „Die geburtenstarken Jahrgänge, die ab 2015 in den Ruhestand gehen, haben 30 Prozent weniger Kinder als meine Generation. Sie haben aber sehr viel höhere Rentenansprüche. Das kann nicht gutgehen“, stellte er im Sommer vergangenen Jahres fest.

Schon 1988 vertrat er in einem für die CDU erstellten Papier die Auffassung, daß die auf einer stetig steigenden Staatsverschuldung beruhende Politik scheitern werde. Strikt marktwirtschaftlich orientiert, wandte er sich gegen seiner Ansicht nach unsinnige Subventionen. Daß er als Vorsitzender des größten CDU-Verbandes Nordrhein-Westfalen dabei mit den politischen Kohlebaronen in seiner Partei zusammenstieß, störte den Professor wenig. Biedenkopf, der lieber in Ehren untergeht, als Fünf gerade sein zu lassen, zog sich 1988 aus der Politik zurück, nachdem er mit seinen rentenpolitischen Vorstellungen auf einem CDU-Kongreß in Bonn restlos untergegangen war. Nur Biedenkopf stimmte damals für das Biedenkopf-Papier.

1990 tauchte er als erster westdeutscher Gastprofessor in Leipzig auf und wurde kurz danach von der sächsischen CDU gegen den ausdrücklichen Willen Kohls zum Ministerpräsidenten in Dresden gekürt. Von Sachsen aus opponierte er weiter gegen Kohls Wirtschafts- und Rentenpolitik. Er war der einzige Regierungschef der deutschen Länder, der im Bundesrat nicht für die Einführung der Euro-Währung stimmte – angesichts des damals massiven Drucks aus Bonn eine mutige Haltung.

Selbst der kritische Bayer Edmund Stoiber, zu dem Biedenkopf ein freundschaftliches Verhältnis pflegte, ließ sich von Kohl weichklopfen – „König Kurt“ nicht. Zusammen mit Stoiber stieß er die Föderalismusreform an – der wichtigste Schritt seit der Einheit, um den deutschen Staat zu reformieren. Mit seiner Kritik an der Treuhandanstalt, an der EU-Kommission und mit einer im Vergleich zu anderen neuen Ländern erfolgreichen Wirtschaftspolitik konnte Biedenkopf die Mehrheit der sächsischen Wähler hinter sich halten. Den Sachsen gefiel der eigenbrötlerisch wirkende Professor aus dem Westen, der in seiner Freizeit nichts mehr schätzt als die Modelleisenbahn im Keller. Mit seinen Reden über die noch zu vollendende innere Einheit traf er auch den Lebensnerv der Bürger.

Nachdem Kohl über die Spendenaffäre gefallen war, gab es Rufe, Biedenkopf wenigstens als Interims-Vorsitzenden an die Parteispitze zu holen. Daraus wurde natürlich nichts – auch deshalb nicht, weil er öffentlich die Schwachstellen des Systems Kohls kritisiert und vor der drohenden Mehrheit von Rot-Grün gewarnt hatte. Schon in der Bibel steht, daß der Rufer im eigenen Land nichts gilt.

Es gehört zum Genie Biedenkopfs, daß er schließlich über einige Affärchen stolperte und 2002 als Ministerpräsident zurücktreten mußte. Seitdem ist von ihm weiter viel zur Renten- und

Wirtschaftspolitik zu hören, ohne daß seine durchweg konservativen Positionen in der eigenen Partei noch Widerhall finden würden. Wie ein Vermächtnis klingt seine Warnung vor der gefährlichsten „Blase der Staatsverschuldung“. Würde sie platzen, „wäre die Katastrophe komplett“.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen