© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Gutmenschen führten in den Niedergang
Wirtschaftskritiker: Wie Hans-Olaf Henkel die Finanzkrise als Privatmann und Aufsichtsrat erlebt hat
Klaus Peter Krause

Von politischer Seite und folgsamen Medien wird inzwischen der Eindruck erweckt, das Schlimmste der 2007 ausgebrochenen globalen Finanz- und 2008 begonnenen Wirtschaftskrise sei zumindest in Deutschland so gut wie überstanden. Diese Versuche sind Schönfärberei und Gaukelei, sie sind nur psychologisch geschickte Stimmungsmache und Zweckoptimismus. Man kann das verstehen: Das breite Publikum soll Mut fassen, nicht ängstlich verharren. Man will es beruhigen, auch ruhigstellen, es soll sich verhalten, als sei alles wieder gut.

Das bringt die Wirtschaft vielleicht wieder etwas in Schwung, ist einträglich für den Fiskus und hilft mit, die fehlkonstruierten Sozialversicherungen noch zu finanzieren. Aber ausgestanden ist so gut wie nichts. Normale Verhältnisse herrschen nur politisch. Leider – denn diese Normalität besteht darin, daß die staatliche Verschuldung in immer noch höhere Höhen vorstößt und daß zu verfehlter Wirtschafts- und Sozialpolitik noch mehr Verfehlungen hinzukommen.

Auch Hans-Olaf Henkel (JF-Interview 2/10) – einst Chef des Deutschland-Ablegers des US-Konzerns IBM und Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie – wird nicht müde, die Verfehlungen auszubreiten und zu geißeln. „Die Abwracker“ ist das jüngste von sieben Sachbüchern, in denen Henkel diese Thematik in vielfältigen Variationen umkreist.

Auch hier erweist er sich wieder als streitbarer Kämpfer für Freiheit und marktwirtschaftliches Regelwerk und gegen die Sozialisten in allen Parteien und Gruppierungen und führt den Leser durch haarsträubende Geschehnisse und nur scheinbar schwierige Zusammenhänge. Wer vielleicht meint: „Davon verstehe ich nichts, zu kompliziert“, dem hilft der frühere Präsident der Leibniz-Gemeinschaft kenntnisreich auf die Sprünge und macht es ihm verständlich. Und so wie er bei Vorträgen rhetorisch zu glänzen weiß, macht er es auch als Autor seinen Lesern leicht.

Zu einem großen Teil arbeitet Henkel in dem Buch auf, was auch andere schon getan oder zumindest versucht haben, nämlich die seit 1929 größte Finanzkrise, die abermals in den USA ihren Ursprung hat und dann andere Staaten mit sich riß. Aber das geschieht auf eine sehr eigene und persönliche Art, anhand von Beispielen aus eigenem Erleben, also sehr konkret, anschaulich und kurzweilig. „Ich werde berichten, wie ich die Krise als Privatmann und Aufsichtsratsmitglied großer Unternehmen erlebt habe“, schreibt Henkel im Vorwort. „Nicht nur das, was sich abspielte, will ich schildern, sondern auch, wie Akteure und Betroffene es erlebt haben.“

Zutreffend benennt Henkel als den Auslöser und den an der Katastrophe Schuldigen die Vereinigten Staaten. Er läßt noch einmal Revue passieren, was zur Finanzkrise geführt hat, wie sie ablief und was für schlimme Folgen sie hat. Dabei geht er immer wieder über das Geschehen der eigentlichen Finanzkrise hinaus und nutzt es zu informativen Abstechern, stets durchmischt mit persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen, weil er viele Akteure und Aktionen aus eigener Anschauung kennt.

Sorglosigkeit und Selbstüberschätzung

Wer glaubt, an der Immobilienblase in Amerika seien gierige Banker schuld, dem wird dieser Glaube ausgetrieben. Ihre Ursache hat sie in einem amerikanischen Gesetz (Community Reinvestment Act), das den US-Banken die Vergabe von riskanten Subprime-Krediten geradezu abzwang. Eindrucksvoll schildert Henkel, wie absurd das mit den Subprime-Krediten so Gutgemeinte war, wie abenteuerlich und verhängnisvoll. Auch die jahrzehntealten gesetzlichen Vorschriften zur positiven Diskriminierung (affirmative action) haben mitgewirkt und natürlich das zu billige Geld als Folge der Niedrigzinspolitik der US-Notenbank (Fed).

Dies zeigt, wohin gutgemeinte, aber ökonomisch unsinnige Gesetze, künstlich niedrige Zinsen und Politiker, die gegenüber wirtschaftlichen Zusammenhängen und Folgen blind sind, führen: in den Abgrund. Daran freilich, daß sich die Finanzkrise so ungehemmt entfaltet hat, haben Banker durchaus ebenfalls einen Schuldanteil. Zu viele von ihnen ließen sich, wie Henkel schreibt, von Sorglosigkeit und Selbstüberschätzung, von Vertrauensseligkeit und regelrechter Dummheit leiten.

Als Täter hat Henkel die sogenannten Gutmenschen in seinem Fadenkreuz. Er findet sie unter den Politikern, den Ideologen und den Intellektuellen. Die Krise sei nicht durch dieses oder jenes Laster ausgelöst worden, sondern durch das Gegenteil: durch den unbedingten Willen zur Tugend. Er knöpft sich die Moralprediger und „Moralisten vom Dienst“ vor. Er beklagt das Moralisieren der Deutschen über die Wirtschaft und stellt fest, daß die Marktwirtschaft verunglimpft wird, in Talkshows schlechte Karten hat und der Kapitalismus geradezu krankgebetet wird. Er beschreibt, daß und warum „wir neo-sozialistisch regiert werden“. Der Neo-Sozialismus habe sich nicht nur im linken Parteispektrum breitgemacht; unbemerkt dominiere er fast die gesamte deutsche Politik. Für Henkel ist die Finanz- und Wirtschaftskrise „weit dramatischer, als man uns glauben machen will“. Henkel will zurück zu „Ludwig Erhards Erfolgrezepten“. Denn nicht die Marktwirtschaft oder der verunglimpfte Neoliberalismus haben versagt, sondern die Politik.

Henkel beschließt sein Buch mit dreizehn Korrekturvorschlägen für eine „retroliberale Wende“.

Hans-Olaf Henkel: Die Abwracker – Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen. Heyne Verlag, München 2009, gebunden, 256 Seiten, 19,95 Euro

Foto: Hans-Olaf Henkel bei der Firma Kühne & Nagel in Hamburg: Korrekturvorschläge für eine „retroliberale Wende“

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