© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Auf Augenhöhe
Die Zeugen Jehovas kämpfen um staatliche Anerkennung
Mart in Gerhard

Bezüglich einer Streitfrage über das Verhältnis des Staates zur umstrittenen Sekte der Zeugen Jehovas ist in Baden-Württemberg eine merkwürdige Situation entstanden. Einerseits will der Landtag mit einer Veranstaltung anläßlich des Holocaust-Gedenktags am 27. Januar die im Nationalsozialismus verfolgten Zeugen Jehovas ehren; auf der Gedenkfeier in Freiburg soll sogar ein Vertreter der theokratischen Glaubensgemeinschaft ein Grußwort sprechen. Doch gleichzeitig erhebt sich quer durch alle Fraktionen Widerstand gegen den Antrag der im ausgehenden 19. Jahrhundert in den USA gegründeten Zeugen Jehovas, vom Land als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) anerkannt zu werden.

So plädiert Landtagspräsident Peter Straub (CDU) dafür, einen Rechtsstreit um die Anerkennung zu riskieren; die Landesregierung sollte es darauf ankommen lassen. „Nach der langen Diskussion sollte man das gerichtlich klären“, sagte Straub. Kulturminister Helmut Rau (CDU) dagegen hält die Anerkennung der Zeugen Jehovas wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2000 für unvermeidbar. Damals hoben die Karlsruher Richter ein drei Jahre zuvor vom Bundesverwaltungsgericht ergangenes negatives Urteil für die Zeugen Jehovas wieder auf (2 BvR 1500/97). In dem Verfahren war es um die Frage gegangen, unter welchen Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuzuerkennen ist.

Am 24. März 2005 entschied dann das Oberverwaltungsgericht Berlin in letzter Instanz, daß das Land Berlin den Zeugen Jehovas den Körperschaftsstatus verleihen müsse. Die offizielle Anerkennung erfolgte am 13. Juni 2006. Der Körperschaftsstatus bringt für die Sekte neben massiven Steuervorteilen einen erheblichen Prestigegewinn mit sich und hebt sie auf eine Augenhöhe mit den von ihr geschmähten Großkirchen, die sie dem „Weltreich der falschen Religion“ zurechnet. In der Vergangenheit verurteilte sie die etablierten Kirchen wegen ihres privilegierten Status und hielt ihnen vor, sie folgten damit nicht dem Beispiel Jesu, der sich niemals um öffentliche und staatliche Anerkennung bemühte.

Nach Berlin haben inzwischen zehn weitere Bundesländer die Sekte anerkannt, doch mit Bremen und vor allem Baden-Württemberg ist das bundesweite Anerkennungsverfahren nun unerwartet ins Stocken geraten. Die anhaltende Kritik an dem rigiden Umgang mit Aussteigern, der Ablehnung höherer „weltlicher Bildung“, totalitären Strukturen und das Kindeswohl gefährdenden Glaubensgrundsätzen nährt nach wie vor den Verdacht einer nicht hinreichenden Rechtstreue, obgleich sich diese Vorwürfe bislang nicht gerichtlich substantiieren ließen. Anfang Dezember erklärte sich Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) dennoch bereit, trotz des Klagerisikos seinen Widerstand aufrechtzuerhalten.

Das Anerkennungsverfahren der Zeugen Jehovas gilt als richtungsweisend für die Frage, nach welchen Maßstäben der säkulare Staat den teilweise schwierigen Umgang mit der religiösen Vielfalt der modernen Gesellschaft gestalten soll, insbesondere im Hinblick auf die Integration  islamischer Religionsgemeinschaften. In einer gutachterlichen Stellungnahme für die Zeugen Jehovas behauptete der Religionshistoriker Gerhard Besier (JF 25/09), daß es im Zuge des Anerkennungsprozesses zu einer Öffnung der sich streng von ihrer Umwelt abgrenzenden Sekte gekommen sei. Daher empfahl er die Anwendung dieses Verfahrens auf die türkischen Migranten in Deutschland, auch um so vorbildhaft die Säkularisierung in der Türkei zu stärken. Die Anerkennung des Islam als KdöR ist eine zentrale Forderung der CDU-Organisation Deutsch-Türkisches Forum (DTF). Auch die Grünen sind für eine rechtliche Gleichstellung. Islamistische Organisationen wie Milli Görüs und der Islamrat haben bereits entsprechende Anträge gestellt, bislang allerdings erfolglos.

Doch statt fortschreitender Transparenz scheint bei den Zeugen Jehovas anhaltende Verschleierungstaktik angesagt. In ihren Publikationen vermitteln sie der Öffentlichkeit die beruhigende Botschaft: „Niemand sollte gezwungen werden, sich zwischen seiner Familie und seinem Glauben zu entscheiden.“ Nach innen gelten in der „Gesellschaft mit zwei Gesichtern“ (OVG-Richter Ulrich Monjé) aber andere Vorgaben.

Unter der Überschrift „Christliche Loyalität bekunden, wenn ein Verwandter ausgeschlossen ist“ wurde 2002 im internen Mitteilungsblatt Unser Königreichsdienst an einem konkreten Fallbeispiel die zynische Praxis des Kontaktverbots bei Ausschluß dargelegt, der bei sittlichen Verfehlungen einzelner Mitglieder erfolgt oder wenn diese zentrale Glaubenslehren ablehnen, und ist bislang nicht korrigiert worden. Ein Sohn teilte nach einem entsprechenden Vortrag seiner ausgeschlossenen Mutter mit, er und seine Schwester würden bis auf weiteres nicht mehr mit ihr sprechen, „es sei denn, wichtige Familienangelegenheiten würden dies erfordern“.

Die konsequent harte Haltung der Kinder trug aus Blickrichtung der Zeugen alsbald „Früchte“: „Kurz darauf fing seine Mutter an, Zusammenkünfte zu besuchen, und schließlich wurde sie wieder aufgenommen.“

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