© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Grenze zwischen Innen und Außen überwinden
Wolfgang Fenskes Forschungen über Karl Bernhard Ritter und zu den christlichen Prägungen der Konservativen Revolution
Harald Seubert

Vergangene Gestalten, deren Denk- und Vorstellungswelt im Strudel der Zeiten untergegangen sind, wieder sichtbar zu machen, ist ein großes Verdienst. Dazu hat Wolfgang Fenske mit seinem Buch über Karl Bernhard Ritter (1890–1968) einen wichtigen Beitrag geleistet. Ein verstreutes Werk, das seine eigenen Voraussetzungen kaum offenlegte, so schlüssig in seiner Genese und seiner sachlichen Mitte künftiger Forschung zu erschließen, ist allein im Blick auf die Quellenlage eine beeindruckende Leistung – davon legt die Bibliographie ein beredtes Zeugnis ab. Fenske zeigt, daß das Leben des langjährigen Seniors der Michaelsbruderschaft und hohen Geistlichen der evangelischen Kirche dauerhaft von der Zugehörigkeit zur Konservativen Revolution bestimmt war.

Zunächst wird die Biographie Ritters umsichtig rekonstruiert. Dabei wird die prägende, immer wieder gedeutete Erfahrung des Ersten Weltkriegs als Zentrum sichtbar, um das sich ein Leben in der evangelischen Kirche und der Liturgischen Bewegung aus dem Geist der Konservativen Revolution ausprägte, mit der Grundtendenz, die Kirchenspaltung zu überwinden. 

Im zweiten Teil der Studie geht Fenske bei dem jungen Ritter auf Spurensuche. Er zeigt sehr schön, wie die Auseinandersetzung mit Kants Religionsschrift in der in wenigen Monaten verfaßten Dissertation und das Fortdenken Kants auf den Neufichteanismus hin das Fundament für Ritters Lebenswerk legt. Zu Fichte, der nicht nur metaphysisch, sondern auch weltanschaulich im Umkreis des Ersten Weltkriegs neue Aktualität gewinnt, tritt eine – gegen einseitigen Rationalismus gerichtete – Goethe-Rezeption, von der her auch Luther interpretiert wird. Fenske zeigt in Orientierung an den einschlägigen Kategorien von Armin Mohler, daß Ritter von seinen Voraussetzungen her eine eigenständige christliche und neufichteanische Version Konservativer Revolution und des „heroischen Realismus“ (E. Jünger) findet. Der jungkonservative Reichsgedanke verbindet sich bei Ritter mit dem Reich Gottes, in der Zielsetzung eines Reiches der Tat.

Diese Ausrichtung bringt ihn nach anfänglicher Zustimmung in eine stille, aber nachhaltige Opposition zum NS-Regime. Früh war er als Erzieher tätig, der in der Laienspielbewegung Maßgebliches leistete. Der sakrale Raum, namentlich der Dom, ist dabei der Dreh- und Angelpunkt. Ritter ging es, so wird im dritten Teil deutlich, in seiner praktischen Theologie und seinem liturgischen Denken stets um eine Verschränkung von Innen und Außen. Ersteres, „die Innerung“, bezeichnet eine meditative Komponente, letzteres, mit dem Kunstwort des Philosophen Leopold Ziegler die „Ahmung“, das Nach-außen-Treten des religiösen Grundverhältnisses des Menschen, das für Ritter jeder Nach-Ahmung der Kunst vorausgeht. So erklärt sich auch der sperrige Titel der Arbeit „Innerung und Ahmung“.

Kenntnisreich werden zwei wichtige Inspiratoren ins Spiel gebracht: der Psychotherapeut Carl Happich, der durch seine erfahrungsgesättigten Studien zum psychologischen Bildbewußtsein Ritters praktische Theologie mit auf den Weg brachte, und vor allem Erwin Rousselle, der ihn auf die Stufenfolgen fernöstlicher Einweihungswege, aber auch auf den Geist des Missale Romanum hinwies. Ähnlich wie Dietrich Bonhoeffer könnte wohl auch Ritter gesagt haben, was Kirche sei, sei ihm im römischen Katholizismus aufgegangen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte hierbei die Stufenmeditation der christlichen Freimaurerei.

Die ausführlichen Rekonstruktionen von Ritters liturgischen Formularen, vor allem der eucharistischen Agende von 1961, zeigen den Versuch, das Beste der Deutschen Messe Luthers mit dem römischen Missale zu verbinden. Letztlich aber war Ritter, worauf Fenske mit Begriffen des hermetischen Philosophen Heinrich Rombach hinweist, Hermetiker: Die Hermetik vermag nämlich die Grenze zwischen Innen und Außen zu überwinden und eine wechselseitige Verschränkung festzuhalten.

Liturgie und Diakonie gehörten für Ritter zusammen: Das Hereinreichen der jenseitigen Welt in die diesseitige prägt seine Besinnung auf das Wesen des Gottesdienstes. Die Suche nach theologischer Tiefe und sprachlicher Schönheit beeindruckt an Ritters Agenden noch heute, auch als Antidotum zu allzuviel gottesdienstlicher Sprachschluderei und Flachsinn.

Man wird Ritter freilich kaum kopieren können, schon weil sich seine Liturgien oftmals an den inneren Kreis der Michaelsbruderschaft richteten. Wie eine Bruderschaft in der Moderne zu stiften ist und mit welchen Aporien Traditionsbegründung inmitten des Traditionsabbruchs zu kämpfen hat, kann man Ritters Leben und Werk exemplarisch ablesen – man wünschte sich freilich, daß auch das Verhältnis zur katholischen Liturgiereform, etwa zu Guardini, stärker beleuchtet würde.

Man erkennt, daß Politik und Theologie bei Ritter komplementär zueinander stehen, aber aus einem Geist geformt sind. Fenske zeigt in der Distanz und nüchternen Luzidität der Darstellung Sympathie und Respekt; und er läßt Ritter durch geschickt ausgewählte Zitate lebendig werden. Freilich bleiben Fragen, die die Arbeit nicht beantwortet: Wie solitär war Ritter in seiner Zeit? Wie steht sein Denken zur Theologie von Emanuel Hirsch, dessen Name, im Unterschied zu dem von Barth oder Tillich kaum fällt? Oder: Welche grundsätzlichen Probleme wirft eine christliche Freimaurerei auf? Man müßte sich auch fragen, was von Ritter in veränderten Zeiten zu lernen wäre. Avantgardistisches bis in einen Religionssynkretismus, der freilich alles andere als unproblematisch ist, und Archaismen liegen eng beieinander.

Hier hätte man sich einige Hinweise gewünscht; zumal man nur hoffen kann, daß Fenskes Dissertation eine neue Forschung zu den christlichen Prägungen der Konservativen Revolution in Gang bringt. Sie ist in jedem Fall eine Pionierleistung theologischer Konservatismusforschung!

Wolfgang Fenske: Innerung und Ahmung. Meditation und Liturgie in der hermetischen Theologie Karl Bernhard Ritters. Hansisches Druck- und Verlagshaus, Hamburg 2009, broschiert, 224 Seiten, 34 Euro

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