© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/10 29. Januar 2010

Vergeblicher Griff in das Schwungrad
Im Februar 1990 versuchte die Modrow-Regierung noch einmal, die Regie über die Gestaltung der deutschen Einheit zu übernehmen
Detlef Kühn

Hans Modrow war der letzte kommunistische Ministerpräsident („Vorsitzender des Ministerrats“) der DDR. Auf ihm ruhten vor zwanzig Jahren die Hoffnungen derer, die möglichst viel vom real existierenden Sozialismus in die Vereinigung mit dem kapitalistischen Westen Deutschlands retten wollten. Das erforderte massive Kompromisse, die vorher unter Honecker und Ulbricht als Kapitulantentum, Verrat an der führenden Rolle der SED oder bürgerlich-nationalistische Überheblichkeit undenkbar waren. Modrow traute man zu, den Westen von notwendigen Hilfen und die widerstrebenden Kräfte im eigenen Lager von unvermeidbaren Veränderungen überzeugen zu können.

Modrows Antwort auf   Kohls Zehn-Punkte-Plan

Hans Modrow, geboren am 27. Januar 1928 in Vorpommern, hat die typische Karriere eines kommunistischen Parteifunktionärs hinter sich: Sohn eines Arbeiters, gelernter Maschinenschlosser, 1945 noch Volkssturm, bis 1949 sowjetische Gefangenschaft mit Besuch einer Antifa-Schule, danach hauptamtliche Tätigkeit in der FDJ, die in die Karriere in der SED mündet. Hier brachte er es zum Mitglied des Zentralkomitees (ZK) und Ersten Sekretär der Bezirksleitung in Dresden (1973–1989). Die Krönung einer solchen Laufbahn, das Politbüro des ZK der SED, blieb ihm jedoch versagt. Er unterschied sich von den dort tätigen Apparatschiks, lebte relativ bescheiden in einer Plattenbau-Wohnung in Dresden und wählte bei öffentlichen Äußerungen gelegentlich Formulierungen, die als unorthodox empfunden wurden. Auch wenn er bis 1989 die SED-Herrschaft nie in Frage stellte, wurde er doch  immer wieder unter den Funktionären genannt, die eine reformorientierte Politik vertreten könnten. Wahrscheinlich hat gerade dies seine Aufnahme in das Politbüro verhindert. Jedenfalls galt er auch im Westen als Alternative zu den farblosen Gestalten um Honecker. So  verwundert nicht, daß Modrow Ende 1989 als Nachfolger von Willi Stoph Vorsitzender des Ministerrats und damit vom 13. November 1989 bis zum 12. April 1990 Verhandlungspartner der Bundesregierung in Bonn wurde.

In der DDR waren die Auflösungserscheinungen nicht mehr zu übersehen. „Runde Tische“ und neue Parteien, auch die ehemaligen Blockparteien, stellten die Alleinherrschaft der SED in Frage. Die Mauer fiel; wer wollte, konnte die DDR verlassen. Hunderttausende taten das umgehend. Andere besuchten den Westen nur und bestaunten das dortige Warenangebot. Die Bundesregierung zahlte ihnen ein Begrüßungsgeld von 100 Mark, zusätzlich konnte man in den Wechselstuben Ostmark in Westmark umtauschen. Die große Nachfrage nach der begehrten Deutschen Mark drückte den Kurs der DDR-Mark auf eins zu sieben. In Leipzig trugen die Demonstranten Transparente: „Kommt die D-Mark, bleiben wir; kommt sie nicht, geh‘n wir zu ihr“ oder „Wir sind ein Volk!“ Gerhard Paul Schürer, der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, mußte Modrow darüber informieren, daß die DDR bankrott war.

Modrow erkannte, daß Hilfe nur von der Sowjetunion oder der Bundesrepublik kommen konnte. Ende Januar 1990 reiste er nach Moskau. Seine Bitten um wirtschaftliche und finanzielle Hilfe stießen dort auf taube Ohren. Gorbatschow wollte darüber gar nicht reden. „Unser Verhältnis steigerte sich nicht einmal ansatzweise zu jener Euphorie der Strickjacken- und Pulloverfreundschaft, wie sie die Welt wenig später im Kaukasus zwischen Michail und Helmut erleben sollte“, beschrieb Modrow später das Treffen.

So blieb als Helfer in der Not nur die Bundesrepublik. Modrow hatte nach Moskau seinen Plan „Deutschland, einig Vaterland“ (der dort aber noch nicht so genannt wurde) mitgebracht, den er als Antwort auf Kohls Zehn-Punkte-Plan vom 28. November 1989 veröffentlichen wollte. In ihm sprach er sich für eine allmähliche und etappenweise deutsche Einigung bis hin zu einer Föderation aus (Drei-Stufen-Plan). Er ergänzte den schon früher vorgelegten Entwurf für eine Vertragsgemeinschaft zwischen Bundesrepublik und DDR, in der das zukünftige Deutschland „militärisch neutral“ bleiben sollte.

 Gorbatschow widersprach Modrows Initiative zwar nicht, konnte sich aber nicht zu einer öffentlichen Unterstützung entschließen. Offenbar wollte er die Volkskammerwahl am 18. März abwarten. Modrow konnte aber nicht mehr warten. Er veröffentlichte seinen Plan am 1. Februar in Berlin und fuhr am 13. Februar mit großer Regierungsdelegation nach Bonn. Hauptziel: von der Bundesregierung eine Finanzhilfe von 15 Milliarden Mark zu erhalten.

Bevölkerung war längst zum Klassenfeind übergelaufen

Inzwischen war auch Bundeskanzler Kohl bei Gorbatschow in Moskau gewesen. Zur allgemeinen Überraschung erhob dieser keine prinzipiellen Einwände gegen die sich abzeichnende deutsche Einheit. Die Sowjetunion hatte mit Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und anderen Konsumgütern zu kämpfen und brauchte die unbürokratische Hilfe der (West-)Deutschen. Da hatte Modrow mit seiner Bitte um Finanzhilfe, die ihm das Überleben seines Staates bis Mai sichern sollte, schlechte Karten. Kohl war sicher, das Geld würde irgendwo versickern, und setzte auf die baldige Währungsunion.

Das war, was die Menschen in der DDR wollten – eine harte Währung im eigenen Portemonnaie. Nun mußte auch Modrow erkennen, daß seine Bevölkerung längst zum Klassenfeind übergelaufen war. Manifest wurde das, als am 18. März mit großer Mehrheit die Parteien in die Volkskammer gewählt wurden, die die Vereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetzes befürworteten. Modrows PDS erhielt bei hoher Wahlbeteiligung nur 16,4 Prozent der Stimmen.

Hans Modrow dürfte erleichtert gewesen sein, keine Regierungsverantwortung mehr tragen zu müssen. Ihm blieben der Ehrenvorsitz der PDS und Mandate in Bundestag und Europäischem Parlament. Tragisch kann man sein Scheitern damals nicht nennen. Zwei Jahre früher hätte die SED unter seiner Führung vielleicht noch die Chance eines geordneten Übergangs gehabt. Nun wurde sie plötzlich entmachtet. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Foto: Hans Modrow (r.) am 5. Februar 1990 mit Vertretern des Runden Tisches (Tatjana Böhm, Klaus Schlüter, Gerd Poppe v.l.n.r) in der Volkskammer: Wer pleite ist, kann schlecht gestalten

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