© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

Versprochen und gebrochen
Bilanz: Die schwarz-gelbe Koalition ist ihren Wählern in den ersten 100 Tagen an der Regierung vieles schuldig geblieben
Paul Rosen

Was du heute kannst versprechen, darfst du morgen wieder brechen“, sang Schröder-Imitator Elmar Brandt 2002 in seinem „Steuersong“. Das Lied ist weiter aktuell. Zentrale Versprechen der Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP wurden nicht eingehalten oder in einem Fall sogar ins Gegenteil verkehrt. 100 Tage nach ihrem Amtsantritt sieht sich auch die christlich-liberale Regierung mit der Realität  konfrontiert.

Das krasseste Beispiel, wie Aussagen einer Partei nach der Wahl in das Gegenteil umgekehrt werden, lieferte die FDP. Die Liberalen fordern schon seit Jahren, das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit aufzulösen und in das Wirtschaftsministerium zu integrieren. Nach Abschluß der Koalitionsvereinbarung schaute die Öffentlichkeit erstaunt auf die FDP: Es war keine Rede mehr von der Abschaffung des Ministeriums, sondern mit Dirk Niebel übernahm ausgerechnet ein FDP-Politiker das Amt. Bei der Gier nach Posten hatte auch die FDP-Abgeordnete Gudrun Kopp kein Problem, den Posten der Parlamentarischen Staatssekretärin in diesem Ministerium zu übernehmen. Überhaupt sah sich die von Kanzlerin Angela Merkel geführte Koalition nicht in der Lage, die Zahl der Minister oder Staatssekretäre zu reduzieren. Das war allerdings auch nicht versprochen worden.

Versprochen worden war jedoch eine Konsolidierung des Bundeshaushalts. „Wir stehen für eine solide Haushalts- und Finanzpolitik“, heißt es etwa im Koalitionsvertrag als Zusammenfassung der Wahlprogramme von Union und FDP. Alle staatlichen Ausgaben sollen auf den Prüfstand kommen, wird versprochen. Die Ausgaben sollen nicht stärker wachsen als das Bruttoinlandsprodukt.

Schon der Entwurf des Bundeshaushalts 2010 von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) straft diese Behauptung Lügen. Obwohl in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von bestenfalls 1,4 Prozent erwartet wird, steigt der Haushalt um fast sieben Prozent auf 325 Milliarden Euro. Die im Haushalt ausgewiesene Neuverschuldung soll bei 85,8 Milliarden Euro liegen. Hinzu dürften noch Kredite in Schattenhaushalten kommen, die zur Finanzmarktstabilisierung eingerichtet wurden, so daß mit einer Gesamtneuverschuldung von über 100 Milliarden Euro zu rechnen ist. Das ist die höchste Kreditaufnahme aller Zeiten und widerspricht allen Aussagen in Wahlprogrammen und im Koalitionsvertrag.

Auch die von den Koalitionsparteien angekündigte Steuerreform 2011 sieht noch einer ungewissen Zukunft entgegen. In diesem Punkt muß man der CDU ein Stück Ehrlichkeit zugestehen. Sie hatte sich geweigert, ein festes Datum für das Inkrafttreten der Reform in ihr Wahlprogramm zu schreiben. CSU und FDP versprachen 2011. Vereinbart wurde eine Entlastung mit einem Volumen über 20 Milliarden Euro. Sie ist allerdings nicht felsenfest versprochen: „Der Tarif soll möglichst zum 1.1.2011 in Kraft treten“, heißt es im Koalitionsvertrag. Bereits kurz nach der Wahl und damit verräterisch früh begann Schäuble die Steuerreform in Frage zu stellen und das Datum 2011 aufzuweichen.

Nichts getan hat sich bisher auf einem anderen, sehr wichtigen Gebiet. In ihren Wahlprogrammen versprachen Union und FDP, sich um die Finanzmärkte zu kümmern, von denen die Krise ausging. Die Union etwa verlangte einheitliche internationale Standards bei der Regulierung und Überwachung der Finanzmärkte. Die FDP forderte sogar: „Wer als Manager im Finanzmarkt unverantwortliche Risiken eingegangen ist, muß zur Rechenschaft gezogen werden.“ Passiert ist auch 100 Tage nach der Wahl nichts. Die Börsen sind wieder große Spielkasinos. Es wird gezockt, als hätte es die Krise nie gegeben. Die Gewinne der Banken sind verräterisch hoch. Hochrisiko-Papiere und vergiftete Wertpapiere werden gehandelt wie eh und je.

Zwar ließen es die wichtigsten Regierungschefs auf ihrem G20-Gipfel nicht an Ankündigungen zur Regulierung fehlen. Aber der G20-Gipfel liegt schon wieder eine Weile zurück, und daher stellen sich andere Fragen: Können Märkte und Banken vielleicht deshalb nicht reguliert werden, weil sich die Staaten über sie das billige Geld für ihre Rekord-Schuldenaufnahmen besorgen? Würde die eigentliche Blase, die horrende Verschuldung fast aller Staaten, platzen, wenn man an eine Regulierung der Finanzmärkte ginge?

In einem anderen Punkt haben Union und FDP Wort gehalten. Pünktlich zum 1. Januar 2010 wurde das Kindergeld um 20 Euro im Monat erhöht, und der steuerliche Kinderfreibetrag wurde ebenfalls angehoben. Außerdem gab es Entlastungen für die Wirtschaft, und die Steuersenkung für Hotels stand auch schon in den Wahlprogrammen. Besonders die Kindergelderhöhung hat einen konkreten Hintergrund: Es handelt sich um ein Wahlgeschenk für die nordrhein-westfälische Landtagswahl am 9. Mai. Merkel braucht den Wahlsieg der von Jürgen Rüttgers geführten schwarz-gelben Landeskoalition, weil sonst die Bundesratsmehrheit von Union und FDP weg ist. Nach der Wahl im größten Bundesland wird in Berlin sowieso alles anders, dürften Steuern erhöht und Ausgaben zusammengestrichen werden. Es gilt dann ein alter Satz von Adenauer: „Wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?“

Foto: Merkel und Westerwelle: Pünktlich das Kindergeld angehoben

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