© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Afghanistan-Konferenz: Truppenverstärkung, Aussteigerprogramm für Taliban und mehr Verantwortung für die Kabuler Regierung sollen eine Wende bringen
Hans Brandlberger

Als einen „Wendepunkt“ betrachtet Außenminister Guido Westerwelle die Ergebnisse der jüngsten Afghanistan-Konferenz und suggeriert zugleich, daß sie im wesentlichen dank deutscher Anstöße neue Perspektiven eröffnet habe. Doch in London wurde von den knapp 70 Teilnehmerstaaten in allererster Linie der US-Vorschlag abgesegnet, die im Irak mit gewissen Erfolgen praktizierte Strategie auf Afghanistan zu übertragen: Die ausländischen Truppen wachsen zunächst an, um Aufständische besser in Schach halten zu können und die Ausbildung der einheimischen Streit- und Polizeikräfte zu forcieren.

Die USA haben daher 30.000 zusätzliche Soldaten zugesagt, die Mandatsobergrenze des Bundeswehrkontingents soll um 850 Mann auf dann 5.350 erhöht werden. In einem nächsten Schritt wird angestrebt, möglichst ab Ende 2010 den personell gleichfalls verstärkten einheimischen Sicherheitskräften peu à peu die Verantwortung für die dann befriedeten Landesteile zu übertragen. Die vollmundigen Deklarationen, man müsse good governance und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans fördern, sind alles andere als neu: Seit der Petersberg-Konferenz 2001 steht Derartiges im Abschlußkommuniqué eines jeden Afghanistan-Gipfels.

Acht Jahre nach dem Sturz der Taliban-Regierung und der Mandatierung der International Security Assistance Force (Isaf) durch die Uno wurde nur ein Minimalziel erreicht: Afghanistan ist heute weder Rückzugsgebiet noch Ausgangsbasis für islamistische Terroristen, die Ziele rund um den Globus ins Visier nehmen. Die Bedrohung ist durch diesen Erfolg aber mitnichten aus der Welt geschafft, haben sich doch das al-Qaida-Netzwerk und seine Verbündeten neue Zufluchtstätten im Jemen, in Somalia und im Maghreb erschlossen.

Die Isaf-Truppen und damit auch das deutsche Kontingent haben sich heute mit Aufständischen unterschiedlichster Provenienz auseinanderzusetzen, deren Aktivitäten sprunghaft gewachsen sind. 2009 waren pro Monat durchschnittlich knapp 1.250 Anschläge und „Feindberührungen“ zu verzeichnen, 65 Prozent mehr als im Vorjahr. Etwa die Hälfte des Landes soll heute unter zumindest zeitweiliger Kontrolle der Aufständischen stehen, die dabei auch parastaatliche Strukturen errichten und „Steuern“ erheben. Mit einfachen, aber wirksamen Mitteln liefern sie Isaf-Verbänden Gefechte in der Manier regulärer Streitkräfte. Die jüngsten Attacken gegen Kabuler Regierungsgebäude zeigten, daß nichts vor ihnen sicher ist.

Um die strategische Offensive der Aufständischen zu brechen, soll kampfesmüden Taliban nun die Chance geboten werden, unter Anerkennung der afghanischen Verfassung ins „Zivilleben“ zurückzukehren. Als Anreiz dient ein „Reintegrationsfonds“, von dessen insgesamt 250 Millionen Euro Deutschland 20 Prozent trägt.

Was im Irak gelang, das Herauskaufen ganzer sunnitischer Stammesgemeinschaften aus ihrer Allianz mit Aufständischen, wird in Afghanistan kaum zu wiederholen sein. Solange eine Rückkehr der Taliban an die Macht nicht definitiv ausgeschlossen werden kann, setzt sich jeder Abtrünnige dem Risiko aus, von ihnen ins Fadenkreuz genommen zu werden. Zu befürchten ist hingegen ein „Mitnahmeeffekt“: daß Personenkreise, die den Aufständischen gar nicht zuzurechnen sind, sich als solche deklarieren, um in den Genuß von Handgeldern zu kommen.

Afghanistan soll zudem in den Genuß eines Schuldenerlasses in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar gelangen. Ferner wird angestrebt, bei der Verwendung der ausländischen Hilfe die Regierung in Kabul stärker einzubinden. Voraussetzung dafür sei jedoch, so UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, daß Präsident Hamid Karsai seiner Ankündigung, gegen die Vetternwirtschaft vorzugehen, endlich Taten folgen lasse.

Ausgerechnet der afghanische Präsident, im Vorjahr durch eine dubiose Wahl im Amt bestätigt, durch fragwürdige Allianzen mit schillernden Warlords in Verruf geraten und mit dem Vorwurf einer ausufernden Korruption konfrontiert, war es denn auch, der auf der Londoner Konferenz unversehens in die Rolle eines Hoffnungsträgers geriet. Man muß kein Pessimist sein, um zu bezweifeln, daß er diesen Erwartungen gerecht werden kann.

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