© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Staatsmann
Karl Heinzen

Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair hat vor der mit der Untersuchung des Irak-Krieges beauftragten Kommission seine Entscheidung verteidigt, an der Seite der USA militärisch gegen das Regime Saddam Husseins vorzugehen. Diese Standfestigkeit ist angesichts der öffentlichen Stimmung im Lande respektabel, kann gleichwohl niemanden überraschen. Die Bürger, die einst durch falsche Informationen für einen Kriegseintritt eingenommen wurden, mögen nun, da ihnen die Wahrheit bekannt ist, zu einer anderen Auffassung gelangt sein. Tony Blair als derjenige, der sie täuschte, verfügte jedoch schon damals über das für eine adäquate Lagebeurteilung erforderliche Wissen und mußte daher seine Meinung auch nicht revidieren.

Von Demonstranten rüde attackiert, bemühte er sich statt dessen, die historischen Rahmenbedingungen seiner Entscheidung vor Augen zu führen. Nach dem Terroranschlag des 9/11 war die Geduld gegenüber Schurken mit oder ohne eine Staatsgewalt im Rücken einfach erschöpft. Saddam Hussein konnte zwar keine Verstrickung mit al-Qaida nachgewiesen werden, doch stellte sein Regime eine nicht zu tolerierende Bedrohung für die freie Welt dar, sofern es über Massenvernichtungswaffen und die zu deren Einsatz in großen Reichweiten erforderlichen Trägersysteme verfügt hätte. Durch einen Taxifahrer in Bagdad und damit den Angehörigen einer Berufsgruppe, die viel herumkommt und viel erfährt, hatte der britische Geheimdienst Kenntnis davon erlangt, daß der Irak imstande wäre, innerhalb von 45 Minuten einen Angriffsschlag zu führen. Nachdem man diesem erfolgreich zuvorgekommen war, stellte sich die Information zwar als unzutreffend heraus, doch wurde immerhin Saddam Hussein aus dem Weg geräumt, was für sich genommen bereits als ein Erfolg anzusehen ist. Man könne im übrigen in derartigen Situationen nicht einfach herumsitzen und abwarten, bat der einstige Kriegspremier um Verständnis, irgendeine Entscheidung hätte schließlich getroffen werden müssen, und die Gewißheit, das Richtige zu tun, gäbe es sowieso nie.

Durch seine klaren Worte hat Tony Blair zwar den Haß der Zeitgenossen weiter angestachelt, zugleich jedoch den Grundstein dafür gelegt, als echter Staatsmann in der Geschichte einzugehen. In der Vergangenheit ist er oft als Populist abgetan worden, als jemand, der sein Fähnchen in den Wind hänge und bloß Stimmungen auszunutzen verstehe. Heute ist klar, daß er die Öffentlichkeit auch manipulieren konnte, um seine Macht für höhere Zwecke zu mißbrauchen.

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