© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

Untertanin des Zaren
Zeitflucht: Maria Cebotari zum Hundertsten
Tim Kneiske

Wer sein historisches Wissen aus dem Knopp-TV bezieht, ist fest davon überzeugt, daß es im Deutschen Reich nach 1933 recht „ausländerfeindlich“ zuging. Es muß ihn daher wundern, in welchem Ausmaß die Unterhaltungskultur des Reiches, Film, Theater, Varieté, E- und U-  Musik, von „Fremden“ dominiert wurde.

Tatsächlich ist es erstaunlich, wie viele Künstler sich vor allem aus dem Herrschaftsraum der untergegangen k.u.k. Monarchie, aus Mittel- und Osteuropa, geradezu magnetisch auf die Berliner Bühnen und in die Babelsberger Studios ziehen ließen. Auch Rumänien hat ihnen seinen Tribut an Talenten gezollt. Einer der größten Dirigenten des 20. Jahrhunderts zählt dazu, Sergiu Celibidache, und eine der strahlendsten Sängerpersönlichkeiten jenes Saeculums, deren Stern kurz vor Kriegsausbruch 1939 zu leuchten begann: die Sopranistin Maria Cebotari, die am 10. Februar 1910 als Untertanin des Zarin im bes-s­arabischen Kischinew, dem heute moldawischen Chişinău, geboren wurde.

Über Moskau und Paris kam die Gesangselevin 1929 nach Berlin. 1931 debütierte sie an der Dresdner Semperoper als Mimi in Puccinis „La Bohème“. Den hinter den Kulissen entbrannten Streit zwischen Goebbels und Richard Strauss über dessen jüdischen Liberettisten Stefan Zweig ignorierte „das Talent aus Rumänien“, als sie 1935 die Titelrolle in der Dresdner Uraufführung der „Schweigsamen Frau“ sang.

Für Maria Cebotari war das der Durchbruch. Neben ihrem Engagement im Elbflorenz brillierte sie bis 1944 an der Berliner Staats­oper Unter den Linden. Sie gehörte hier zu einem musikhistorisch singulären Ensemble. Allein drei Sopranistinnen der Weltklasse, Erna Berger, Tiana Lemnitz und Maria Cebotari, dazu als häufigen Gast Elisabeth Schwarzkopf, durften die Berliner jahrelang als „Normalkost“ im Abonnement genießen, auch unter den Bedingungen des alliierten Bombenterrors seit 1941.

Aus diesen Jahren, als die Oper auch ein Angebot zur Zeitflucht war, für die deswegen zur höchster Intensität gelangenden Künstler wie für die Zuhörer, sind wenige Aufnahmen überliefert. Gleichwohl genügt das Duett zwischen Octavian und Sophie, das sie und Tiana Lemnitz in einem „Rosenkavalier“ von 1943 zelebrieren, um in der 1949 verstorbenen Maria Cebotari mit ihrem warmen, seelenvollen Timbre eine unvergleichliche lyrische Sopranistin zu erkennen.

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