© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

Früh mit deutscher Einheit kalkuliert
Gorbatschows außenpolitischer Berater Wjatscheslaw Daschitschew wird 85 Jahre
Klaus Hornung

Auf dem Jahreskongreß des Studienzentrums Weikersheim herrschte atemlose Stille, als der Professor aus Moskau im Oktober 1989 das baldige Ende der deutschen Teilung ankündigte. Wjatscheslaw Daschitschew gehörte zum engeren Beraterkreis des sowjetischen Parteichefs Gorbatschow und seines Außenministers Schewardnadse.

Geboren wurde er am 9. Februar 1925 als Sohn eines Offiziers der Roten Armee, ein Jahr nach Lenins Tod und mitten hinein in die beginnende Ära Stalins. Im November 1941 gab der Tyrann dem Vater, nun General, wie auch anderen hohen Militärs die Schuld daran, daß die Deutschen bis vor die Tore Moskaus hatten vorstoßen können. Der General verschwand im Gefängnis, aus dem er erst nach Stalins Tod 1953 schwerkrank zurückkehren konnte.

Der Sohn, der 1943 Soldat geworden war, konnte nach dem Krieg als Militärhistoriker Karriere machen, den Haß auf den roten Diktator aber nicht vergessen. Hitlers Strategie wurde zum Forschungsthema des Professors und militärgeschichtlichen Publizisten. Die Kenntnis der deutschen Sprache hatte er schon in der Moskauer deutschen Schule erworben. Er konnte die Ideologie und Strategie Hitlers offenlegen, aber auch in das Denken seiner Antipoden eindringen, des großen Militärphilosophen Carl von Clausewitz und des Generals Ludwig Beck, die Daschitschew als humanistische Militärs und Alternativen zu Hitlers totalitärem Expansionismus würdigte.

Schon an Breschnew und Gromyko hatte Daschitschew Denkschriften zur Revision der sowjetischen Außenpolitik gerichtet, die jedoch ohne Resonanz geblieben waren. Erst mit Juri Andropow als Parteichef begann das Eis des Sowjetsystems zu schmelzen, und als Michail Gorbatschow im März 1985 Parteichef wurde, wuchs auch Daschitschews Einfluß als Leiter des Instituts für internationale politische Studien und später als Vorsitzender des Beirats im Außenministerium der UdSSR.

Daschitschews grundlegendes Werk „Moskaus Griff nach der Weltmacht – Die bitteren Früchte hegemonialer Politik“ (2002 bei Mittler auf deutsch erschienen) bietet den roten Faden seines strategischen Denkens, das um die Überwindung der sowjetischen, vom Marxismus-Leninismus geprägten hegemonialen Politik und der Ost-West-Konfrontation kreiste. Trotz der Protektion Gorbatschows bewegte sich Daschitschews Beratertätigkeit lange auf dünnem Eis. Stalinistische Apparatschiks wie der sowjetische Botschafter in Bonn, Valentin Falin, erhoben den lebensgefährlichen Vorwurf des Verrats an der Sowjetunion. Leicht hätte sich damals das Fenster der Gelegenheit wieder schließen können.

Zu Recht hat man Daschitschew einen „couragierten Denker“ (Hans-Adolf Jacobsen) genannt, dessen messerscharfe Argumentation das Ihre zum Abbau der sowjetischen „messianischen Hegemonialpolitik“ beitrug. Der Pensionär ist heute in seiner schönen Datscha mitten im russischen Wald südlich Moskau nach wie vor unablässig wissenschaftlich und publizistisch tätig (zuletzt JF 5/10), nicht selten auch zu Vorträgen vor allem in Deutschland unterwegs. Mit gewohnter Kompetenz vertritt er seine Meinung über die Übel hegemonialer Politik – jetzt vor allem an die US-amerikanische Adresse gerichtet. Sein Hauptthema ist nun die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, freundschaftliche Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation und nicht zuletzt zwischen Deutschland und Rußland. Hier spricht ein russischer Patriot, dessen Thesen auch für die Ohren deutscher Patrioten verständlich sind.

In Geschichte und Politik ist Dankbarkeit zwischen Völkern und Staaten gewöhnlich eine seltene Haltung. Wenn sie aber angebracht ist, dann im Verhältnis der Deutschen zu diesem Mann, der als Intellektueller im Zeitalter des Totalitarismus ein exemplarisches Leben führte als schöpferischer Denker und Wissenschaftler und der wahrlich das Seine beigetragen hat zum Sturz der bolschewistischen Diktatur samt den giftigen Früchten ihrer Hegemonialpolitik im Namen eines totalitären Messianismus.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim und war Präsident des Studienzentrums Weikersheim

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