© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

Neues Spielzeug: Das iPad ist kein Rettungsring für die kriselnde Zeitungsbranche
Das Internet als Bettlektüre
Elliot Neaman

Kann das iPad die Zeitungsindustrie retten? Am 27. Januar in San Francisco enthüllte Apple mit viel Medienwirbel sein neuestes Spielzeug zur Bewältigung der Datenflut, einen multimedialen Mini-Computer mit Touchscreen. Fast nebenbei wurde dabei die Gründung der digitalen Buchhandlung iBooks angekündigt, die auch die Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften feilbieten soll. Dazu hat Apple bereits einen Vertrag mit fünf der sechs US-Großverlage geschlossen. 

Verleger, die sich von diesem Geschäftsmodell eine Rettung aus finanzieller Not erhoffen, sollten nicht vergessen, wie die Musikindustrie sich mit einem ähnlichen Kompromiß selber die Schlinge um den Hals legte, die sie seither langsam, aber unaufhaltsam abwürgt. Dort begann die Revolution im Herbst 2003 – anderthalb Jahre, nachdem Apple den iPod auf den Markt gebracht hatte – mit dem Start von iTunes. Ursprünglich war der iPod bloß ein protziger MP3-Player, auf dem Benutzer ihre eigene Plattensammlung speichern konnten. Den virtuellen Musikladen iTunes, der 30 Prozent seiner Gewinne an die Plattenfirmen abführt, gründete Apple auf Anraten seiner Rechtsabteilung, die eine Prozeßlawine verhindern wollte.

Zwar bewies der Erfolg von iTunes, daß Benutzer durchaus bereit sind, für digitale Musik zu bezahlen, obwohl von den meisten Singles unschwer kostenlose Raubkopien zu finden sind. Andererseits gingen die Umsätze im CD-Geschäft ebenso deutlich zurück wie der Einfluß der Großkonzerne auf den Musikgeschmack der Konsumenten. Die Branche kriselt weiter vor sich hin, zumal sich mit dem Verkauf einzelner Songs weit weniger Profit machen läßt und die illegale kostenlose Verbreitung mehr oder weniger ungehindert weiterläuft.

Die Zeitungsindustrie steht vor einem ähnlichen Problem: Wie bekommt man die Internetnutzer dazu, für ein Produkt zu bezahlen, das zahllose andere Anbieter umsonst zur Verfügung stellen? Eine Lösung besteht darin, die eigenen Inhalte hermetisch abzuriegeln und den Zugriff darauf nur gegen Gebühren freizugeben. Das Wall Street Journal praktiziert dies einigermaßen erfolgreich. Wenn es tatsächlich gelingt, die Leser an die Entrichtung von Mikro-Beiträgen für Nachrichten und Artikel zu gewöhnen, könnte dieser Ansatz den Weg in eine neue Medienwirklichkeit weisen.

Ob die Verbraucher ihren Lesestoff künftig tatsächlich von iBooks statt von einer der zahllosen gebührenfreien Plattformen beziehen; ob stolze iPad-Besitzer die gesamte Printausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift (mitsamt Werbeseiten) online lesen, muß sich erst noch zeigen. Während der iPod in Verbindung mit iTunes seinerzeit eine echte Innovation darstellte, bietet der neue Tablet-Computer lediglich eine zusätzliche Option.

Mit iTunes wurde ein neuer Markt erschlossen, der sowohl das Kaufverhalten der Musikkonsumenten als auch die Industrie selber nachhaltig veränderte. Daß iBooks Vergleichbares bewirken könnte, scheint unwahrscheinlich. Für ein digitales Abo dürften sich vielmehr vornehmlich diejenigen entscheiden, die sowieso längst Stammleser sind.

Die Lehre aus den Erfahrungen der Musikindustrie lautet, daß kein Verleger sich darauf verlassen sollte, von dem neuen Wunderwerk aus dem Hause Apple vor dem Ruin gerettet zu werden. Wer neue Leser werben will, muß sein Produkt den neuen Gegebenheiten anpassen.

Der iPod veränderte den Umgang mit Musik, die nicht mehr als fertiges Paket konsumiert, sondern in Form von Playlists dem individuellen Geschmack angepaßt wird. Apple ging es nicht primär um die Musik – die Firma wollte ihr Produkt an den Mann bringen; das Ausmaß, in dem dadurch die Musikproduktion und -rezeption neu definiert wurde, war ein unvorhergesehenes Nebenprodukt. 

Entsprechend wird sich die Zeitungsindustrie etwas einfallen lassen müssen: Wie lassen sich Nachrichten auf innovative Art und Weise verpacken und verkaufen? Welche Chancen bietet die neue Plattform, um Alleinstellungsmerkmale zu schaffen und in einem so überlaufenen wie unübersichtlichen Medienmarkt eigene Duftmarken zu setzen?

Das handliche iPad erleichtert zum Beispiel das digitale Zeitungslesen im Bett, auf dem Sofa oder auf dem Weg zur Arbeit. Dank der eingebauten GPS-Funktion ließen sich Werbung, Nachrichten und Angebote jeweils standortspezifisch individualisieren. Um die multimedialen Möglichkeiten des iPad auszuschöpfen, müßten Zeitungsartikel mit Videos und Chats verlinkt werden. Auch die wachsende Zahl von Bloggern, die sich als Amateurreporter betätigen, ist eine Ressource, auf die Medienmacher vermehrt zurückgreifen sollten. Vor allem aber müssen sie begreifen, daß kein noch so schickes Gerät ihre geschäftlichen Geschicke magisch zum Guten wenden wird, solange sie nicht ihrerseits imstande sind, ihr Produkt für die neue Technologie fit zu machen.

Foto: Zeitungslesen mit dem neuen iPad von Apple: Für ein digitales Abonnement werden sich vornehmlich die Stammleser entscheiden

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