© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/10 12. Februar 2010

Ein glücklicher Zufall
Umweltliteratur: Ein „grüner New Deal“ soll eine neue Ära einläuten / Mit erneuerbaren Energien aus der Wirtschaftskrise?
Volker Kempf

Ein neues Buch mit dem Titel „Epochenwechsel“? Da werden zunächst Erinnerungen wach. Denn so hieß schon ein 1994 veröffentlichtes Buch des Historikers Rolf-Peter Sieferle (JF 33/09). Zufall? Wahrscheinlich, denn genannt wird Sieferle von den beiden Autoren, dem SPD-Umweltpolitiker Michael Müller und dem Biologen Kai Niebert, nicht, gelesen haben sie ihn allem Anschein nach auch nicht. Und doch kann man beide Titel einander gegenüberstellen.

Sieferle wollte das Scheitern der kommunistischen Ideologie als das Scheitern des totalitären Versuchs deutlich machen, die Wirklichkeit einer direkten Herrschaft der Vernunft und Tugend zu unterstellen. In der neuen Epoche werde es aber auch ideologische Gegensätze geben. Konfliktfelder seien zum Beispiel die wirtschaftliche Globalisierung, Immigration und Umwelt. Was letzteres betrifft, sei in den 1970er Jahren allgemein bewußt geworden, daß das liberale Modernisierungsprojekt brüchig geworden sei. Diese Bruchlinie bleibe nach dem „Epochenwechsel“ bestehen, weil die Umweltgüter nicht den ökonomischen Gesetzen folgen und eine marktimmanente Lösung nicht in Sicht sei.

Auch das neue Buch „Epochenwechsel“ nimmt an, daß das Wissen um die Zukunftsgefahren zwar beachtlich, die Lücke, dem gegenüber angemessen zu handeln, aber „gefährlich groß geworden“ sei. Die Bestandsaufnahmen sind richtig. Daß Deutschland etwa ökologisch über seine Verhältnisse lebt, auch daß mit höherem Einkommen der Ressourcen- und Energieverbrauch steigt, trifft zu. In Sachen Klimawandel und Einfluß der Kohlendioxidemissionen wird die Mehrheitsmeinung vertreten.

Wie aber Abhilfe schaffen? Ein „Ökologischer Marshallplan für die Erde“ war gestern, jetzt soll durch ein „Plädoyer für einen grünen New Deal“ die Wende geschafft werden. Der „New Deal“ geht auf das Jahr 1933 zurück. Damals übernahm der US-Demokrat Franklin D. Roosevelt das Präsidentenamt mit dem Versprechen, die Große Depression nach dem Crash von 1929 und die Arbeitslosigkeit zu überwinden.

Ein Bündel von Wirtschafts- und Sozialreformen und massive staatliche Investitionen kurbelten die Binnenkonjunktur an, und mit der Einführung eines Sozialversicherungssystems sowie progressiver Besteuerung und Arbeitszeitverkürzung wurde die durch die Weltwirtschaftskrise verursachte Massenarbeitslosigkeit und -armut gelindert. Doch die Große Depression war damit nicht vollkommen überwunden, sondern erst mit dem Kriegseintritt der USA 1941 und der damit verbundenen Ankurbelung der Rüstungsindustrie.

Der „Schlüssel zum Erfolg“ eines „grünen“ Epochenwechsels soll aktuell aber in einer „Effizienzrevolution und im konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien“ liegen. An einer Effizienzrevolution wird schon lange gearbeitet, aber bislang ist nur eine Evolution entstanden. Da reichen nicht politische Forderungen, das ist ein Prozeß, den man sicher forcieren oder verlangsamen kann. Letzteren Weg schlugen die USA ein, womit sie heute zu den besonders ressourcen- und energieintensiven Volkswirtschaften gehören. Sich das nicht zum Vorbild zu machen, bringt aber noch keinen Epochenwechsel.

Die Masse an präsentierten Details für eine umweltfreundlichere Zukunft ist groß, wenn sogar über den „Blauen Engel“ schulbuchgerecht etwas zu erfahren ist und die Bedeutung von Umweltsiegeln allgemein daran festgemacht wird. Solarenergie und Windräder kamen durch Förderungen in Deutschland auch nicht zu kurz – was zumindest besser ist, als auf die Rüstungsindustrie zu setzen. Auch werden Steuern für atomare Brennelemente erwähnt, was im Sinne der steuerlichen Gleichbehandlung von Energieträgern keine falsche Idee ist.

Daß das Stromnetz „einer nationalen Netzgesellschaft mit überwiegender Beteiligung der öffentlichen Hand übertragen werden“ solle („notfalls per Enteignung“) – das klingt allerdings weniger nach einem Epochenwechsel als vielmehr nach einem Hang zum Ökosozialismus. Daß die jüngste Finanzkrise den deutschen Ordoliberalismus von Walter Eucken wieder in Erinnerung rufen sollte, der Wirtschaft und Banken einen Ordnungsrahmen setzt, ist wohl der bessere Ansatz. In diesem Sinne wird im Buch auch auf Ludwig Erhard verwiesen.

Müller dürfte auch der „Epochenwechsel“ der SPD umgetrieben haben, die erkennen mußte, daß mit Sozialpolitik allein nicht mehr genügend Wähler zu gewinnen sind. Mit der Ökologie­thematik will man den Grünen ein angestammtes Politikfeld streitig machen. Das hatte schon Friedhelm Farthmann seiner Partei empfohlen.

Der langjährige SPD-Landtagsfraktionschef war 1996 allerdings bereits einen Schritt weiter, wenn er beispielsweise das heiße Eisen Bevölkerungsentwicklung im Zusammenhang mit der Ökologiethematik ansprach und eher mit groben Pinselstrichen als nur immer neuen Details die Orientierung vorgab („Blick voraus im Zorn. Aufruf zu einem radikalen Neubeginn der SPD“).

Müller und Niebert gelingt der große Wurf noch nicht. Um so glücklicher der Zufall, mit „Epochenwechsel“ an Sieferles alten Titel zu erinnern, weil hier eine Ortsbestimmung der Gegenwart geleistet wird, die deutlich macht, mit welchen Grundsatzkonflikten die Deutschen konfrontiert sind.

Michael Müller/Kai Niebert: Epochenwechsel. Plädoyer für einen grünen New Deal. Oecom Verlag, München 2009, 279 Seiten, 19,90 Euro

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