© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/10 12. Februar 2010

Frisch gepresst

Salonkultur. Um 1900 begann das Münchner Verlegerehepaar Hugo und Elsa Bruckmann damit, interessante, „kulturschaffende“  Menschen zum „Thee“ zu bitten. Die gepflegte Häuslichkeit der Bruckmanns fiel unter Dutzenden ähnlicher Salons der ewig „leuchtenden“ Residenzstadt aber dadurch aus dem Rahmen, daß sich in der Villa des Kunstverlegers Menschen auf die Füße traten, die einen Tick berühmter waren als andere oder es zu werden versprachen: Rilke, Hofmannsthal, George, Klages, Schuler, Harry Graf Kessler, Thomas Mann, Houston Stewart Chamberlain – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Bis 1914 ist am vornehmen Karolinenplatz auch eine große weltanschauliche Bandbreite vertreten. Im Ersten Weltkrieg nationalisierte sich der Kreis. Und nach 1918 sichert das Protektorat, das Elsa Bruckmann über einen jungen Politiker namens Adolf Hitler übernimmt, ihrem Salon zumindest einen marginalen Platz in der NS-Geschichte. Der Germanist Wolfgang Martynkewicz versucht im Brennpunkt des Bruckmann-Salons vor allem diese Verbindung von Geist und Macht, von Kunstreligion und politischer Religion darzustellen. Da man über ähnliche Weltanschauungswerkstätten und Kreisbildungen in Jena, Bayreuth oder Berlin in letzter Zeit sehr ausführlich informiert wurde, ist der Autor um neue Aspekte zum Thema verlegen. Von ein paar Mißgriffen – etwa über den „Rechtsradikalen“ Albert Haushofer – abgesehen ist die zudem über weite Strecken erfreulich moralinfreie Arbeit aber für jene zu empfehlen, denen die Weltsicht des deutschen Großbürgertums vor hundert Jahren bislang fremd war (Salon Deutschland. Geist und Macht 1900–1945. Aufbau Verlag, Berlin 2009, gebunden, 617 Seiten, Abbildungen, 26,95 Euro).

 

Einsichten. „Die tschechische Historiographie dient seit 1918 den Bedürfnissen des tschechischen Nationalstaats, unangenehme Fakten werden verschwiegen oder verdreht.“ Der Prager Journalist Tomáš Krystlik leitet seine Analyse zu Schlüsseldaten der tschechoslowakischen Geschichte mit einem überraschenden Fazit ein. Und tatsächlich bietet er allerhand Hintergründe, die an Mythen der eigenen Nationalgeschichte kratzen – von der Tschechischen Legion 1918 über die „kleine Insel der Demokratie“ im Europa der Zwischenkriegszeit bis hin zur Münchner Konferenz und der NS-Protektoratszeit. Die dargestellte Rolle des Netzwerkers Edward Beneš im alliierten Exil bis hin zur Umwandlung des CSR zur sowjetischen Satrapie unter Klement Gottwald mitsamt den Enteignungen und Vertreibungsverbrechen dürfte einigen Geschichtspolitikern nicht nur an der Moldau schwer im Magen liegen (Verschwiegene Geschichte – Zamlčené dějiny 1918–1938–1948–1968. Heimatkreis Mies-Pilsen, Dinkelsbühl 2009, broschiert, 315 Seiten, 15,80 Euro).

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