© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/10 19. Februar 2010

Winterliche Bomben
Nordirland: Die Verhandlungen zwischen Katholiken und Protestanten werden von bizarren Skandalen und gewalttätigen Auseinandersetzungen begleitet
Derek Turner

Das Karfreitagsabkommen von 1998 gilt als einziger echter politischer Erfolg von Tony Blairs Labour-Regierung. Um so mehr muß dessen Nachfolger Gordon Brown daran gelegen sein, daß die fragile gemeinsame Regierung aus der probritischen Democratic Unionist Party (DUP) und der proirischen Sinn Féin (SF) in Belfast funktionsfähig bleibt. Doch die letzten Monate waren selbst für nordirische Verhältnisse ungewöhnlich schwierig. Schlimm genug, daß der Devolutionsprozeß – die Übertragung von Kompetenzen von der Londoner Zentralregierung an das Belfaster Parlament (Stormont) – im vergangenen Jahr zunehmend ins Stocken geriet. Zugleich kam es wieder vermehrt zu bewaffneten Gewalttaten. Mitglieder der Terrorgruppe Real IRA töteten zwei Soldaten und einen Polizisten, mehrere weitere Mordversuche schlugen fehl.

Anders als die monarchistische Ulster Unionist Party hat die DUP die Devolution stets befürwortet. Gravierende Meinungsverschiedenheiten mit der SF bestanden jedoch bezüglich der zeitlichen Frist für die Übertragung der juristischen und polizeilichen Gewalten und insbesondere über die Polizeieinsätze bei den jährlichen Märschen der Loyalisten – protestantischer, probritischer Gruppierungen wie des Orange Order oder der Apprentice Boys. Weil manche Strecken mitten durch katholisch dominierte Wohngebiete führen, fordert die SF Verlegungen, während Unionisten auf der Beibehaltung der traditionellen Marschrouten beharren.

Die jüngsten Verhandlungen zwischen beiden Seiten wurden von bizarren Skandalen und gewalttätigen Auseinandersetzungen begleitet. Anfang Dezember warnte Vizepremier Martin McGuinness (SF), wenn vor Weihnachten keine Einigung in der Terminfrage erzielt werde, könne es „gewaltigen Ärger“ geben. Danach kam es zum öffentlichen Streit zwischen McGuinness und Regierungschef („First Minister“) Peter Robinson.

Am 18. Dezember wurde bekannt, daß Liam Adams, der Bruder von SF-Chef Gerry Adams, von seiner eigenen Tochter des sexuellen Mißbrauchs beschuldigt wurde. In der Folge forderte Adams seinen Bruder auf, sich der Polizei in der Republik Irland zu stellen – und erklärte, er und sein Bruder seien als Kinder selber mißbraucht worden.

Zum Jahreswechsel war dann die DUP mit peinlichen Enthüllungen an der Reihe. Iris Robinson, die Ehefrau des First Minister (wie ihr Mann zugleich Abgeordnete im nordirischen und im Londoner Westminster-Parlament), legte „aus Gründen ihrer geistigen Gesundheit“ beide Mandate nieder.

Am 6. Januar folgte eine aufsehenerregende Presseerklärung, in der die Robinsons bekanntgaben, daß die damals 58jährige Iris Robinson eine Affäre mit einem 19jährigen gehabt und an Schuldgefühlen gelitten habe, die zu einem Suizidversuch führten. Ihr Geständnis schockierte DUP-Wähler, die sich zum Großteil aus konservativen Protestanten rekrutieren (die DUP gilt als politischer Arm der Free Presbyterian Church), insbesondere angesichts dezidierter Aussagen Iris Robinsons über christliche Moralvorstellungen. Zu allem Übel kam nun auch noch heraus, daß sie ihrem Liebhaber einen Firmenkredit von 50.000 Pfund besorgt und damit gegen das Parteispendengesetz verstoßen hatte.

Am 8. Januar wurde ein katholischer Polizist bei der Explosion einer von republikanischen Terroristen gelegten Bombe schwer verletzt. Am 11. Januar kündigte Peter Robinson seinen vorläufigen Rücktritt an, bis die Vorwürfe gegen ihn ausgeräumt seien. Bei den Verhandlungen über den Fortgang der Devolution wolle er die DUP jedoch weiterhin vertreten.

Am 26. Januar fand ein Treffen zwischen Vertretern aller Parteien im Stormont mit Premierminister Brown und seinem irischen Amtskollegen Brian Cowen statt. Brown drohte an, Gelder für Nordirland in Höhe von 800 Millionen Pfund zu sperren, wenn sich keine Einigung erzielen lasse. Das Treffen wurde am nächsten Tag ergebnislos abgebrochen, und eine von London und Dublin gesetzte Frist verstrich, ohne daß man einer Lösung nähergekommen wäre. Noch am 1. Februar stimmten 14 von 35 DUP-Abgeordneten gegen einen Einigungsvorschlag.

Zwei Tage später kehrte Peter Robinson in sein Amt zurück – zehn Minuten vor Mitternacht erfolgte dann die Mitteilung, man sei zu einer Einigung gelangt. Die Übertragung der neuen Gewalten soll im April in Kraft treten und die Ernennung von David Foster, dem Chef der Alliance Party, als Justizminister in Kürze bestätigt werden.

Aus dieser Runde ist Robinson als Sieger hervorgegangen, doch vor den Stormont-Wahlen 2011 wird es noch manche Hürde zu überwinden geben. Die bevorstehenden britischen Unterhauswahlen dürften für ihn nicht einfach werden – von seinem Eheleben ganz zu schweigen.

 

Derek Turner ist Publizist und seit 2007 Herausgeber der britischen Zeitschrift „Quarterly Review“ (www.quarterly-review.org).

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