© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/10 19. Februar 2010

Der ganz normale Casting-Wahnsinn: Bohlen, Raab und die Hundedame
Eine nationale Aufgabe
Curd-Torsten Weick

Aus dem Land der Dichter und Denker ist ein Planet der Supertalente, Stars und Superstars geworden. Höhepunkt bildete Ende Dezember die Wahl Prima Donnas: eine Hundedame als deutsches Supertalent. Nicht zu überbieten? Denkste. Die RTL-Show wurde mit der Goldenen Kamera  in der Kategorie „Beste Unterhaltung“ ausgezeichnet.

Schon ruft Schauspieler Christian Ulmen („Maria, ihm schmeckt’s nicht“) alias Uwe Wöllner zum „YouTube Secret Talents 2010“ (www.youtube.com/secrettalents): „Wenn ihr auch ein Talent habt, zum Beispiel Fensterputzen, mit dem Kopf Schweben“, dann „aufnehmen, bei YouTube hochladen, und die www-Community wählt den Besten von Euch“.

Sänger, die sich nicht zur Witzfigur machen

Die beste Partyband wird das wohl nicht sein, denn die sucht ab dem 11. April 2010 der aufstrebende TV-Sender Kabel eins. „Casting-Voting“ die 112.? „Es ist keine Casting-Show, sondern ein Bandwettbewerb“, beschwichtigt Jury-Mitglied Anja Lukaseder. Und die Musik-expertin muß es ja wissen. Denn sie saß in den Jahren 2007 und 2008 in der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) an der Seite von Casting-König Dieter Bohlen. Jenem Bohlen, der jüngst herumjuxte: „Ich finde, DSDS ist ein Format für Geisteskranke – sonst würde ich ja hier nicht sitzen.“

Was für die einen der nie enden wollende Casting-Wahnsinn, ist für Stefan Raab nun aber plötzlich eine „nationale Aufgabe“. „Wir sind die Trümmerfrauen des Grand Prix. Jetzt liegt es an uns, für blühende Landschaften in der deutschen Musik zu sorgen“, erklärte er vor dem Start seiner ProSieben/ARD-Gemeinschaftsshow „Unser Star für Oslo“ und setzte die Erwartungen hoch.

Schafft es Raab, dem verstaubten und von Mißerfolgen gekrönten ARD-Eurovision-Entscheidungsmodus neuen Glanz einzuhauchen? Ja, sagten die Kritiker und jubelten nach der ersten Show: „Stefan Raab – Twelve Points!“ (Welt), „Raab macht ein Wunder möglich“ (Süddeutsche Zeitung), „Talent total“ (Spiegel). Stimmt. Professionelle Arbeit. Erfrischende Moderatoren (1LIVE-Moderatorin Sabine Heinrich und ProSieben-Moderator Matthias Opdenhövel). Toller Sound. Sänger, die sich nicht zur Witzfigur machten, und eine Promi-Jury, die keinem weh tun möchte. Eine runde Sache. Selbst die Quote stimmte. 2,04 Millionen der 14- bis 49jährigen Zuschauer sorgten für einen Marktanteil von 16,5 Prozent.

Doch schon bei der zweiten Runde – von insgesamt acht – schauten nur noch 1,36 Millionen der 14- bis 49jährigen zu (Marktanteil 12,7). Vorteil Bohlen. Der erreichte mit seiner ersten Live-Show 3,96 Millionen Zuschauern und fuhr einen „herausragenden“ (dwdl.de) Marktanteil von 31,9 Prozent ein.

Doch sind die beiden Casting-Formate überhaupt vergleichbar? Auf den ersten Blick jedenfalls nicht. Ernsthaftigkeit trifft auf Spektakel. Einen „Checker“ (Thomas Karaoglan), ein blondes Busenwunder (Steffi Landerer) oder Ex-Knackis (Menowin Fröhlich; Helmut Orosz) haben ARD und ProSieben nicht zu bieten.

Während „Jurypräsident“ Raab den galanten Sachkenner gibt, rüpelt Macher Bohlen („Das war Müll. Und Müll gehört nicht auf so ’ne schöne Insel“) wie eh und je und mutiert erst in den letzten Mottoshows zum gutwilligen Ratgeber.

Gerade vor diesem Hintergrund wäre ein Samstagabend-Quotenkampf der Renner gewesen. Doch ProSieben und ARD scheuen den Wettbewerb und senden dienstags. Selbst das „Unser Star für Oslo“-Finale findet am Freitag (12. März, 20.15 Uhr, ARD) statt. Der Samstag gehört Dieter „Absolut-mega-hammer-geil“-Bohlen.

Die „nationale Aufgabe“ in Watte gepackt nennt man so was. Schade um die Nation. Ein Vorschlag zur Güte: Raab und Bohlen küren ihre Stars und lassen sie im Anschluß auf allen Kanälen gegeneinander antreten. Dann hätten wir „unseren“ Superstar.

Fotos: Stefan Raab und „Unser Star für Oslo“-Kandidaten: Neuer Glanz für die Eurovision, Quotenkönig Bohlen: „Ich finde, DSDS ist ein Format für Geisteskranke ...“

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