© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

„Mein Bauch gehört mir“
Abtreibung: Vor fünfunddreißig Jahren kippte Karlsruhe die Fristenregelung, die Aushöhlung des Lebensschutzes nahm dennoch ihren Lauf
Hans Christians

Es war ein Hauptanliegen der Achtundsechziger-Generation: „Mein Bauch gehört mir“, provozierte die Frauenbewegung in den frühen siebziger Jahren die Gesellschaft und trat eine breite Debatte los, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind.

Federführend war vor knapp vierzig Jahren die Journalistin Alice Schwarzer, die im Juni 1971 eine Aktion im Magazin Stern initiierte, bei der sich 28 Frauen dazu bekannten, abgetrieben zu haben, und die öffentliche Gemüter arg erhitzten, stand doch der Paragraph 218 des Strafgesetzbuches seit 1871 dafür, die Tötung von ungeborenem Leben als ein Verbrechen zu deklarieren. Mindestens sechs Monate, in besonders schweren Fällen sogar bis zu sechs Jahren Haft drohten Frauen, die abgetrieben hatten. Der Gesetzgeber sah nur eine Ausnahme vor: Ein Schwangerschaftsabbruch durfte unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen erfolgen, vor allem dann, wenn das Leben der werdenden Mutter bedroht schien.

Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1972 machte sich die Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt (SPD) gemeinsam mit dem Koalitionspartner FDP daran, den Gesetzestext zu liberalisieren, und plante im Zusammenhang mit einer Reform des Strafgesetzbuches eine Novellierung des Paragraphen 218. Abgesehen von den Debatten um die Änderung des Asylrechts sowie den „Großen Lauschangriff“ gab es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kaum eine Diskussion, die so emotional geführt wurde. Die Reformbefürworter stellten das Persönlichkeitsrecht der Mutter in den Vordergrund und plädierten für die sogennannte Fristenregelung, während die Gegner unter Führung der katholischen Kirche auf die Unverletzbarkeit des ungeborenen Lebens verwiesen.

Flankiert von einem durchaus hitzigen Klima, verliefen auch die Beratungen im Parlament turbulent. Die Unions-Fraktion kämpfte für eine ,,Indikationsregelung“, die den Schwangerschaftsabbruch an eine Reihe medizinischer und ethischer Voraussetzungen knüpfte. Die rot-gelbe Regierung plante dagegen eine Fristenregelung, die eine generelle Straffreiheit innerhalb der ersten drei Monate vorsah. Die Aussprache am 25. April 1974 dauerte vom frühen Morgen bis weit nach Mitternacht und ging damals als eine der längsten Plenardebatten in die Geschichte des Bundestags ein. Selbst die Regierung zeigte sich in dieser wichtigen Frage uneins. Während die SPD-Frauenrechtlerin Elfriede Eilers die Fristenregelung als ,,entscheidenden Schritt hin zur Eigenverantwortung und sozialen Gleichstellung der Frauen“ bezeichnete, fürchtete Detlef Kleinert (FDP), mit der Änderung der Strafnorm werde sich auch die „dahinter stehende ethische Norm ändern“.

Die FDP wollte diese Bedenken allerdings hintanstellen, da es sich nach ihrer Einschätzung beim Status quo „um ein offensichtlich unwirksames Gesetz“ handelte. In der Tat war die Zahl der illegalen Schwangerschaftsabbrüche in den Jahren zuvor sprunghaft in die Höhe gestiegen. Ähnlich argumentierte Bundeskanzler Willy Brandt: „Rechtsauftrag und soziale Wirklichkeit des seit gut hundert Jahren geltenden Paragraphen 218 haben sich auseinander entwickelt. Es gab viele dunkle Wege in die Illegalität, es gab viel Krankheit und Tod, die hätten vermieden werden können“, sagte Brandt in seiner leidenschaftlichen Rede.

Für die Union konterte Paul Mikat scharf: „Bei einem Embryo handelt es sich um ein individuelles menschliches Leben“, das von Beginn seiner Existenz an und nicht erst ab dem dritten Monat zu schützen sei. Am Ende stimmte der Bundestag am 26. April 1974 mit 247 Ja-Stimmen zu 233 Nein-Stimmen bei neun Enthaltungen für die Fristenregelung.

Doch eine von Baden-Württemberg beim Bundesverfassungsgericht beantragte einstweilige Verfügung hatte schließlich Erfolg. Im Februar 1975 erklärten die Karlsruher Richter die Fristenregelung für verfassungswidrig, weil sie der Verpflichtung aus Artikel 2 des Grundgesetzes, „das werdende Leben auch gegenüber der Mutter wirksam zu schützen, nicht in dem gebotenen Umfang gerecht geworden ist“. Daraufhin beschloß das Parlament ein sogenanntes „Kompromißgesetz“. Die Abtreibung blieb demnach strafbar, sollte aber möglich sein, wenn die werdende Mutter  in „besonderer Bedrängnis“ handelte.

Infolge der Wiedervereinigung wurde 1992 eine modifizierte Fristenlösung eingeführt, die allerdings wiederum vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Nach der heute gültigen, 1995 im Schwangerschaftskonfliktgesetz festgeschriebenen Regelung ist ein Schwangerschaftsabbruch nach wie vor rechtswidrig. Er bleibt aber straffrei, wenn er innerhalb der ersten drei Monate und nach einer Konfliktberatung durchgeführt wird. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist von 130.000 im Jahr 1996 auf 114.000 im Jahr 2008 gesunken. Lebensschützer weisen allerdings auf die hohe Dunkelziffer hin und darauf, daß gleichzeitig die Zahl der gebärfähigen Frauen abnehme. Abgesehen von Kirchenvertretern und wenigen Politikern fordert kaum jemand, das Gesetz wieder zu verschärfen. Die Forderung, den Paragraphen 218 ganz zu streichen, wird dagegen weiter erhoben. „Jede Frau hat das Recht, zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt“, forderte die Linkspartei im vergangenen Jahr in ihrem Wahlprogramm.

Foto: Demonstration nach dem Richterspruch (1975): Kaum jemand fordert ein schärferes Gesetz

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