© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Pankraz,
Facebook und die Freunde in der Not

Inflationen sind immer schlecht, sei es in der Wirtschaft, sei es in der Freundschaft. Sie entwerten, nehmen einem Geld weg oder vertraute Verhältnisse, stabile Gefühlslagen, in denen man sich bis dato gesichert und aufgehoben fühlen durfte. Die von vielen Experten angesichts der Schuldenfalle, in die sich die EU-Staaten hineinmanövriert haben, vorausgesagte Geldinflation treibt manche Zeitgenossen schon jetzt in die Panik und läßt sie nach Halteseilen Ausschau halten, nach Freunden, auf die sie sich bei Notlagen verlassen könnten. Doch auch die Freundschaft ist mittlerweile inflationiert, noch vor dem Geld.

Es gibt immer mehr Freunde, doch die Freunde sind immer weniger wert, so daß man versucht ist, den alten Stoßseufzer aus Kommunistenzeiten auszustoßen: „Wer so viele Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.“ Schuld daran  sind die neuartigen Internet-Firmen, welche Kundenadressen sammeln und sie miteinander vernetzen, um daraus Profit zu schlagen. Die vernetzten Kunden heißen dort ausdrücklich „Freunde“ , und je mehr einer über das Portal der Firma herumsurft, um so mehr Freunde gewinnt er.

Die vorläufig erfolgreichste Firma im Freundschaftsgeschäft nennt sich „Facebook“ (Gesichterbuch), und genau darum geht es ihr und ihren Konkurrenten: um das Einsammeln von Gesichtern zum Zwecke künftiger Verwertung. „Face“ heißt in der Originalsprache auch Oberfläche, respektive Zifferblatt. Man kann davon Informationen ablesen, sofern es nur oft genug aufscheint. Man erhält dann ein „Profil“, das sich – hat man das richtige Geschäftsmodell – für schönen Profit ausnutzen läßt.

Was das Ganze mit Freundschaft zu tun hat, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt. Wirkliche Freundschaft hat weder mit Oberfläche noch mit Zifferblatt zu tun. Zwar hat der verstorbene Medienphilosoph Vilém Flusser die inzwischen vielerorts propagierte These aufgestellt, erst das Internet, die „Teleproximation“, wie er es nannte, werde wahre Freundschaften unter den Menschen stiften, aber er irrte darin. Freundschaft braucht Nähe, körperliche wie seelische, sie ist nicht durch bloße elektronische Kommunikation herzustellen

„Nur die Teleproximation“, predigte seinerzeit Flusser, „schafft existentiell wertvolle Nachbarschaften, in Sekundenschnelle über Tausende von Meilen hinweg. Die telematische Distanz ist geistige Nähe pur, unter Ausschaltung der schwitzenden Körper samt ihrer lokalen Hemmschwellen. Man kommt einander nah und hält sich den anderen dennoch vom Leibe. Was weder Nationen noch sonstige körperbestimmte Verbundsysteme je leisten konnten, das leistet nun endlich die Telematik. Sie schafft echtes Vertrauen unter den Menschen.“

Fast jedes Wort in solchem Statement führt in die Irre. Flusser sagte immerhin noch „Nachbarschaften“, wo heutige Internetfreaks von Freundschaften sprechen, aber Formulierungen wie „existentiell wertvoll“ oder „echtes Vertrauen“ stehen schon voll im Zeichen der aktuellen Freunde-Inflation. Die Bedeutung von Freundschaft wird dadurch völlig verwässert, kann geradezu das Gegenteil meinen. Ein Freund ist nun schon einer, der wie ich ein Paßwort bei Facebook hat und hin und wieder eine E-Mail von mir liest. Verrückt.

Vom ungeheuren Freundespreis der abendländischen Tradition ist nicht das geringste mehr zu spüren. Aristoteles’ „Amicus esse unum animum in duobus corporibus“, die Behauptung also, daß ein  wahres Freundesduo „eine Seele in zwei Körpern“ sei, löst nur noch Verwunderung aus. Und daß einer wie seinerzeit Schiller daherkommt und darüber jubelt, daß er „einen Freund gewonnen“, läßt einen schon Mitleid empfinden. Was, nur einen Freund? Ich meinerseits habe unübersehbar viele, alle bei Facebook registriert und öffentlich gemacht.

Ob es unter den vielen Facebook-Freunden auch nur einen einzigen gibt, auf den man sich im existentiellen Ernstfall verlassen könnte? Oder wenigstens einen wie Chamfort, den französischen Revolutionsschriftsteller, der seinen Freund, einen sogenannten Girondisten, 1794 unter Folter zwar ans Revolutionstribunal verriet, anschließend jedoch von wilder Reue gepackt wurde und sich das Leben nahm (bevor er selber unter die Guillotine kommen konnte)? Bevor er starb, brachte er noch einige „Maximen“ über die Freundschaft zu Papier, die es in sich haben.

Sterbe einem der Freund weg, so Chamfort, dann wären neue Freunde nichts weiter als Glasaugen, Holzbeine oder künstliche Zähne. Freundschaft müsse im Lebenskampf vielfach geprüft und lange gehärtet sein, dürfe allerdings auch dann nicht leichtfertig strapaziert werden. Denn gerade daß man sich im Ernstfall unbedingt aufeinander verlassen könne, setze voraus, daß man sich im Alltag nicht auf die Nerven gehe.

Über nichts mache man sich so viele Illusionen wie über die Freundschaft, so der Todeskandidat Chamfort weiter. Wahrhaftig, er wünsche keinem, in jene Notlage zu kommen, da die „Freunde“, statt Beistand zu leisten, sich einer nach dem andern verkrümeln. Da Freundschaft (im Gegensatz zu Verwandtschaft) völlig freiwillig sei, sich durch keinerlei genealogische oder institutionelle Festlegung herankommandieren lasse, bleibe sie stets bedroht, auch wenn sie sich in der Vergangenheit noch so oft bewährt habe. Die Gräber aufgekündigter Freundschaften seien noch zahlreicher und bitterer als die der erloschenen Liebe.

Nun, wir wissen es schon aus dem Volksmund: Freunde in der Not gehen auf ein Lot. Solange wir das im Hinterkopf behalten, kann uns auch das neu ausgebrochene Zeitalter der Freundschaft im Internet nicht auf die Nerven gehen. Freundschaft als Lippenbekenntnis in Schönwetterlagen festigt ja durchaus den sozialen Zusammenhalt, vertieft Reisebekanntschaften, verschafft Beziehungen, stiftet Gastlichkeit, Stammtische, Jugendcliquen – und heute eben auch Internet-Firmen, die eifrig über wirklich profitable Geschäfte mit der Freundschaft nachgrübeln. Aber Geschäfte mit der Inflation sind an sich den Staaten vorbehalten.

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