© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

„Das älteste Gewerbe“: Leider nur nackte Folklore – Katja Essons Dokumentarfi lm über Huren
Diskrete, aber allgegenwärtige Form der Sklaverei
Mike Albrecht

Manche Bildungsbürger nennen es noch immer das „älteste Gewerbe der Welt“, selbst wenn es neuerdings mehr einer diskreten, aber allgegenwärtigen Form von Sklaverei ähnelt. Die Rede ist von Prostitution, dem mehr oder weniger freiwilligen Tausch von Sex gegen Geld. Weibliche Naturalien sind nach wie vor eine begehrte Ware und gelten als die einzige inflationssichere Währung der Welt. Den Grund erläutert die Chefin vom Berliner Café Psst! in Katja Essons Doku gleich am Anfang: „Man merkt schnell, daß man die Männer in der Hand hat, (...) sie sind wie Wachs in den Händen.“

Essons handwerklich gut gemachter Film über Bordsteinschwalben und alternative Berliner Huren spannt einen sittengeschichtlichen Bogen von der antiken „Porne“ über die „Hübschlerin“ des Mittelalters, die Wehrmachtsbordelle bis zu den Sklavenmärkten der Neuzeit, den schmutzigen Gassen Athens, wo man auch den Preis einer afrikanischen Zwangsprostituierten erfährt: 70.000 Euro – viel Geld, wenn man bedenkt, daß man in Albanien für ein verschlepptes Mädchen etwa 5.000 Euro bezahlt, mit Paß und Impfzeugnis wie bei Nutztieren üblich. Auch die genannten Preise für Dienstleistungen scheinen aus der Zeit vor der Finanzkrise zu stammen. Der Preissturz von Sanjas Kolleginnen, die neuerdings für acht Euro arbeiten, wurde bereits 1989 von Londoner Heroinhuren weit unterboten.

Esson weiß das alles nicht. Sie hat ausschließlich mit selbstbewußten, äußerst emanzipierten Huren und tüchtigen Geschäftsfrauen des horizontalen Gewerbes gesprochen. Das Elend der Straßenprostitution, die Brutalität der Zuhälter, das Heroinhurentum, die minderjährigen Camcorder-Nutten, all diese Gesichter des Elends werden dem voyeuristischen Bildungsbürger erspart. Eine reelle Sicht auf das Geschäft mit der Lust läßt sich wohl mit Artes Senderprofil nicht vereinbaren.

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