© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Auf der Suche nach der Seele der Union
Richtungsstreit: Bildungsministerin Annette Schavan hat nichts gegen eine Protestantisierung der CDU und sorgt sich um die Regierungsfähigkeit
Christian Dorn

Die CDU hat doch nie behauptet, das Monopol auf christliche Aussagen zu haben.“ Das Fazit von Bildungsministerin Annette Schavan, als sie vergangene Woche vor den vollbesetzten Saal der Katholischen Akademie Berlin tritt, sagt eigentlich alles über das Selbstverständnis der Unionsspitze. Entsprechend stark ist derzeit der Widerspruch an der Basis – beispielhaft an der Aktion „Linkstrend stoppen“ oder dem Arbeitskreis Engagierter Katholiken (AEK). Vor diesem Hintergrund war die stellvertretende CDU-Parteivorsitzende Schavan eingeladen worden, um dem verunsicherten katholischen Fußvolk die Grundausrichtung christdemokratischer Politik zu erläutern.

Unter dem Motto „Wie die CDU die Mitte gewinnt, aber vielleicht ihre Seele verliert“ sah das Publikum dann aber doch keine Spur von Selbstzweifeln, im Gegenteil. Sich treu zu bleiben, so Schavan, hieße „sich wandeln“. Als Gewährsmann zitierte sie Papst Johannes XXIII., der zur Eröffnung des folgenreichen Zweiten Vatikanischen Konzils im Oktober 1962 gefordert hatte, den „Unglückspropheten“ zu „widersprechen, die immer nur Unheil voraussagen“.

Für das Heute sieht die Ministerin deshalb die Gefahr, „daß wir mit dem Begriff ‘christlich’ inflationär umgehen“. Dies gelte „auch für die Forderung, im Grundsatzprogramm der CDU müsse Jesus Christus vorkommen“, der sie hiermit eine unmißverständliche Absage erteilte. Denn ihre Seele verliere die CDU in erster Linie dann, „wenn sie regierungsunfähig wird“.

Abfuhren erhalten derweil die Kampagne „Linkstrend stoppen“ und der AEK. Auf den Einwurf eines Zuhörers, daß es früher einen evangelischen Arbeitskreis in der CDU gegeben habe, weil die evangelischen Parteimitglieder in der Minderheit gewesen seien, und es sich – wegen der fortschreitenden Protestantisierung der Union – heute womöglich umgekehrt verhalte, entgegnet die „selbstbewußte katholische Christin“ Schavan: „Ich finde, daß Protestantisierung nichts Schlimmes ist.“ So überrascht es kaum, als sie zum Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann (siehe Seite 6) erklärt, „traurig“ zu sein, weil „die große Stimme der Christen“ ihre Ämter aufgegeben hat. Auf den Arbeitskreis der Katholiken eingehend, sagte die Ministerin dann in der ihr eigenen Dialektik, daß sie nie auf die Idee kommen würde, sich „zu einer Minderheit zu machen“. In der Tat gehört auch sie zu einer Mehrheit – jener, die eine Äußerung des AEK-Sprechers und Publizisten Martin Lohmann sinnentstellt wiedergibt und so den Arbeitskreis in ein fahles Licht rückt. So nennt Schavan die angebliche Forderung, der zufolge die Kanzlerin aufpassen müsse, daß sie keine Staatsratsvorsitzende werde, eine „Sauerei“, die „keine Gesprächsvoraussetzung“ sein könne.

Ausdruck offenbarer Orientierungslosigkeit

Hier offenbart die Wissenschaftlerin Schavan, daß sie auch bar jeder Kenntnis zu urteilen vermag. Denn der tatsächliche Wortlaut des entsprechenden Deutschlandfunk-Interviews mit Lohmann enthielt genau die gegenteilige Aussage: Dort hatte dieser an die frühere Streitkultur der Union erinnert und „die vorauseilende Ängstlichkeit vor Frau Merkel“ als „geradezu lächerlich“ kritisiert. Schließlich – so Lohmann an die Adresse der Parteimitglieder – sei Angela Merkel ihre „Parteivorsitzende und nicht Staatsratsvorsitzende“. Daß Lohmanns Worte nun ins Gegenteil verkehrt werden, ist womöglich typisch für den Zustand der Unionsparteien. Ausdruck offenbarer Orientierungslosigkeit war schließlich Schavans Äußerung zu den Thesen des Dominikanerpaters und Hochschullehrers Wolfgang Ockenfels, der jüngst – in seinem Buch „Das hohe C“ – die politische Ausrichtung der CDU kritisiert hatte. Hiervon, so die Bildungsministerin, distanziere sie sich „definitiv“. Möglicherweise erreiche Merkel „auf ihre Weise genausoviel Frömmigkeit wie Ockenfels“.

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