© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

„Wir sind doch nicht die Griechen“
Italien: Das Land wehrt sich dagegen, zu den Euro-Sündern Portugal, Irland, Griechenland und Spanien gezählt zu werden
Paola Bernardi

Mit Schadenfreude beobachteten viele Italiener den jähen wirtschaftlichen Fall Spaniens. Denn das Land, das erst 1986 der EU beitrat und als Musterbeispiel einer raschen Modernisierung galt, zählt inzwischen zu den PIGS genannten „Euro-Sündern“ Portugal, Irland und Griechenland (JF 1/10). Es ist nicht lange her, da prahlte der sozialistische Premier José Luis Rodríguez Zapatero damit, Italien beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf zu überholen. Doch dann kam die böse Überraschung: Anglo-amerikanische Analysten verbreiteten, auch Italien sei von der „griechischen Krankheit“ angesteckt, das „I“ stehe eigentlich mehr für Italien als für Irland. Grund seien die explodierenden Staatsdefizite, die für den ganzen „Club Med“ der EU (JF 8/10) bezeichnend sind.

„Italien ist ein ungeeignetes Spekulationsobjekt“

Steht auch Italien vor einer Staatspleite? „Wir sind doch nicht die Griechen“, wird stolz und ärgerlich zugleich geantwortet. Niemand glaubt daher an einen Domino-Effekt, der auch Italien mitreißen könnte. Daß diese Verdächtigungen ausgerechnet jetzt geäußert wurden, wird vor dem Hintergrund der aktuellen Nachfolgedebatte um die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) erklärt. Der italienische Nationalbankpräsident Mario Draghi gilt als aussichtsreichster Gegenkandidat von Bundesbankchef Axel Weber für die Nachfolge von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet.

Die Weltwirtschaftskrise hat zwar auch Italien erreicht (JF 16/09). Doch man ist daran gewöhnt zu improvisieren. Der Ersatz der inflationsfreudigen Lira durch den stabilen Euro hat die gefühlte Inflation keineswegs gedämpft: Den höchsten Preisanstieg erlebte in den letzten acht Jahren die Kugel Eis – sie wurde 290 Prozent teurer. Der Preis einer Tasse Kaffee stieg „nur“ um 104 Prozent, das Lottospiel verteuerte sich um 92 Prozent. Dabei ging die Euro-Begeisterung der Italiener zunächst sogar soweit, daß sie als einziges Land eine Euro-Steuer akzeptierten, nur um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Die Exportbranche vermißt hingegen schmerzlich die Möglichkeit, durch eine Lira-Abwertung den eigenen Absatz zu steigern.

Zudem bestimmt nicht die Euro-Krise, sondern eine politische Skandalserie die Schlagzeilen. Fast täglich warten Untersuchungsrichter mit neuen Ermittlungen im engen Zusammenspiel mit den Medien auf, die suggerieren sollen, daß fast zwei Jahrzehnte nach „Tangentopoli“ die Korruption wieder weit verbreitet ist und die Politik zudem noch von der Mafia infiltriert sei. Fatal erinnert diese jüngste Offensive der Richter an das Jahr 1992. Auch damals kam es zu Verhaftungen von Politikern und Unternehmern. Noch glaubt man allerdings daran, daß dies die üblichen Justiz-Attacken vor den wichtigen Regionalwahlen Ende dieses Monats sind.

Der italienische Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti gibt sich betont gelassen: „Italien ist ein ungeeignetes Spekulationsobjekt“, so beschied er knapp. Der Steuerrechtsexperte gilt auch im Ausland unter Fachleuten als eiserner Sparkommissar und brillanter Finanz-Fachmann. So hat Italien 2009 zur Ankurblung der Konjunktur mit 0,2 Prozent des BIP weniger ausgegeben als andere EU-Länder. Die Staatsschuldpapiere werden zudem mehrheitlich von den Italienern selbst gehalten.

Um seine Kassen zu füllen, ging Tremonti auf Jagd nach flüchtigen Steuersündern, die ihr Geld vor allem in der italienischsprachigen Schweiz gebunkert hatten (JF 49/09). Das Ergebnis dieser dritten Steueramnestie ist beeindruckend: Bis Januar 2010 wurden 110 Milliarden Euro Schwarzgeld legalisiert. Die Aktion wurde daher bis 1. April verlängert. Der bisher eingenommene Gesamtbetrag entspreche mehr als sechs Prozent des BIP, erklärte Tremonti.

Als Premier Silvio Berlusconi seine Absicht bekundete, eine grundlegende Steuerreform in die Wege zu leiten, wiegelte sein Finanzminister erst einmal ab. Tremonti hat statt dessen die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Evaluierung des Spielraums für eine Steuerreform angekündigt. Auch Statistikfälschungen wie in Griechenland sind in Italien kein Thema. Der Präsident des Istituto Nazionale di Statistica (Istat) ist ein anerkannter und glaubwürdiger Experte: Enrico Giovannini war bis 2009 Chefstatistiker der OECD. Auch die Banca d’Italia, die sich um die Statistiken zur Staatsverschuldung kümmert, ist seit Jahren über jeden Zweifel erhaben.

Im Gegensatz zu Großbritannien, dem „keltischen Tiger“ Irland oder im Vergleich zu Spanien hat Italien während der vergangenen Jahre nur geringe, aber realistische Wachstumsraten ausgewiesen. Denn die Wirtschaft wurde weder von einer Finanz- noch von einer Immobilienblase gedopt, die nun geplatzt ist (JF 31-32/09). Zudem habe Italien eine lange Erfahrung mit Schuldenwirtschaft, und seine Haushaltsstruktur sei immer schon auf die „Kombination aus hohen Schulden und geringem Wachstum“ ausgerichtet, erklärte Alexander Kockerbeck von der Rating-Agentur Moodys.

Und solange der italienische Staat seine Zinsen für ausgegebene Anleihen zahlt und die sparfreudigen Italiener brav die eigenen Staatspapiere zur Geldanlage kaufen, ist nicht mit einem Staatsbankrott zu rechnen.

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