© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Vernetzte Welten auf dem Silbertablett
Cebit 2010: In Hannover wird nicht nur neue Technik präsentiert / Mobilität mit Hindernissen
Patrick Schmidt

Seit einigen Jahren steht nicht nur die Präsentation technischer Neuerungen im Fokus der weltweit größten Messe für Informationstechnik in Hannover. Zunehmend werden auch branchenübergreifende Themen wie etwa Umweltschutz und Energieeinsparung (neudeutsch: „Green IT“) oder die Vernetzung von Internet und Lebenswirklichkeit („Webciety“) aufgegriffen. Damit will sich die Cebit (Akronym für Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation) unter dem Motto „Connected Worlds“ nicht nur als reine Verkaufsschau profilieren, sondern vielmehr zusätzlich wegweisende Denkmuster für globale Informationstechnik bieten.

Vom Wohnzimmer aus die Waschmaschine steuern

Und genau hier liegt auch ihre Schwäche: Die lange vom amerikanisch-europäischen IT-Markt dominierte Informations- und Telekommunikationsbranche muß seit einigen Jahren feststellen, daß die von ihr ausgehenden Impulse und Neuerungen keine Einbahnstraße mehr sind. Verstärkt werden aus anderen Teilen der Welt Stimmen laut, die ein „globalisiertes vernetztes Denken“ in Frage stellen und eigene Ideen entwickeln, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Dabei geht es weniger um die Teilhabe an internationalen Wertschöpfungsketten oder um die Beschaffung von Informationen in Bruchteilen von Sekunden – zwei der vielen Illusionen der vernetzten Welt –, sondern um die Definition des Verhältnisses zwischen Mensch und Maschine, die in die Wort­hülse der „work-life-balance“ verpackt wird.

Die Techniktrends der Cebit zumindest versprechen genau dies: von der Wohnzimmercouch aus die Waschmaschine, das Garagentor oder die Mikrowelle steuern und nebenbei Filme herunterladen. Das ist in Zeiten von Multifunktionstelefonen (Smartphones) keine wirkliche Innovation, aber die Reflexion über eine nachhaltige Veränderung des Umgangs mit Medien in einer zunehmend vernetzten Umgebung eröffnet neue Perspektiven. Auf den zahlreichen Konferenzen (on-demand im Internet zu verfolgen) werden Themen wie das „Cloud-Computing“ debattiert, eine abstrahierte IT-Infrastruktur, die fertige Programme und Programmierumgebungen dynamisch an den jeweiligen Bedarf des Nutzers anpaßt und über ein Netzwerk zur Verfügung gestellt wird.

Das soll die herkömmliche Installations-CD verdrängen und zugleich Raubkopien den Garaus machen. In dieselbe Richtung deuten auch andere neue mobile Geräte wie Miniklapprechner (Netbooks), elektronische Lesegeräte (eBook Readers) oder sogenannte Slates (Schieferplatten), also ultraflache tragbare Computer, die außer kleinen Speicherkarten keine großen Datenspeicher mehr haben. Die von ihrer Exklusivität lebende US-Firma Apple, die Ende Januar ihre Schieferplatte unter dem Namen iPad präsentierte (JF 6/10), ist übrigens erneut nicht auf der Cebit vertreten.

Der von den Firmen angestrebte Zwang, künftig nicht nur Inhalte wie kostenpflichtige Musik und Informationen, sondern auch die Benutzerprogramme aus dem Internet zu beziehen, wirft die brisante Frage nach neuen Breitbandübertragungskapazitäten für mobile Nutzer auf. Die derzeitigen Standards HSDPA oder UMTS können zwar eine beachtliche Geschwindigkeit aufweisen. Bei größeren Datenmengen und vielen Nutzern geht ihnen besonders in Ballungsgebieten schnell die Luft aus. Abhilfe soll hier künftig der neue Standard Long-Term Evolution (LTE) schaffen. Da die Umsätze mit klassischer Sprachtelefonie kontinuierlich sinken, wird der zukünftige Markt sicherlich die Datenübertragung sein. Theoretisch können dann auch hochauflösende Videos in Sekundenschnelle auf mobile Geräte übertragen werden oder Videokonferenzen jederzeit und überall abgehalten werden – wenn die Netzabdeckung entsprechend vorhanden ist. Ein weiteres Problem ist die geringe Ausdauer der Mobilgeräte. Selbst bei zurückhaltender Nutzung müssen sie in der Regel schon nach wenigen Stunden am Stromnetz nachgeladen werden. Einfach einen zweiten Wechselakku einstecken – wie bei herkömmlichen Mobilgeräten oder Digitalkameras noch möglich – läßt die kompakte Bauweise meist nicht zu. Ist der Akku irgendwann defekt, dann ist die Reparatur häufig so teuer, daß der Kauf eines neuen Geräts erwogen wird – zur Freude der Aktionäre von Apple & Co., zum Schaden von Verbrauchern, Umwelt und Natur.

Innovationen für eine alternde Gesellschaft?

Omnipräsent sind auf der Cebit neue mobile Flachrechner (Convertibles oder Netvertibles genannt), deren Bildschirm sich um 180 Grad über die Tastatur drehen läßt. Ob sie wirklich die 30jährige Ära tastaturbedienbarer Computer beenden, ist fraglich. Denn selbst an das iPad läßt sich zur besseren Eingabe eine externe Tastatur anschließen.

Dem faktischen Cebit-Motto „Noch kleiner, noch schneller, noch günstiger“ wird auch eine Innovation des Fraunhofer-Instituts so gar nicht gerecht. „Ambient Assisted Living“ (AAL) ist ein technisches System, welches neue Technologien und ihr soziales Umfeld miteinander verbinden soll. Dabei handelt es sich um eine intelligente Wohnumgebung, die besonders für ältere Menschen wertvolle Hilfestellungen leistet. So kann man per Handbewegung in einer Art Diashow Dinge des täglichen Lebens im Haushalt steuern, seinen Gemütszustand mittels eines Handschuhs mitteilen und über ein normales Mobiltelefon die körperliche Aktivität des Nutzers messen.

Wer sich an Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“ erinnert fühlt, wird durch Bodo Urban, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung (IGD) in Rostock, eines Besseren belehrt: „Mit intuitiven Handbewegungen können wir beispielsweise den Fernseher ein- und ausschalten. Tragbare Sensoren erkennen, wie wir uns fühlen, registrieren unsere Bewegungen und messen unsere Fitneß. Dabei kontrollieren immer wir die Technik und werden nicht von ihr kontrolliert.“

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