© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Pankraz,
der Diskoschreck und die Knockout-Pille

Eine neue Horrorvokabel wandert durch die westliche Welt: die Vergewaltigungsdroge („date-rape drug“). Kein Diskobesuch ist demnach für unternehmungslustige Mädchen mehr sicher. Wenn sie in der Tanzpause am Tisch sitzen, schüttet ihnen der männliche Gegenüber heimlich eine sogenannte Knockout-Pille in die Cola, und sobald sie daran genippt haben, hört für sie jegliche Erinnerung auf. Sie erwachen irgendwann später in ihrem heimatlichen Bett und müssen realisieren, daß sie geschändet worden sind!

Hier eine der Standarderzählungen der Opfer, wie sie immer häufiger auf den „vermischten Seiten“ der Zeitungen erscheinen (diese aus der Mitteldeutschen Zeitung): „In meiner Stamm-Disko sprach der Türsteher mich an. ‘Ich habe nicht gedacht, daß du so eine Schlampe bist.’ Er nahm sein Handy und zeigte mir ein Foto. Ich sah einen Mann und eine Frau im Nebenraum beim Geschlechtsverkehr. Und die Frau, das war ich. Ich konnte mich aber an nichts erinnern. Filmriß. Ich war am anderen Morgen in meinem Bett aufgewacht und wußte nicht einmal, wie ich heimgekommen war. Pausenlos mußte ich mich übergeben.“

Vorige Woche hat nun niemand geringeres als die Uno eingegriffen. Der ihr attachierte, in Wien stationierte Internationale Suchtkontrollrat (INCB) gab eine Verlautbarung heraus, in der die „Vergewaltigungsdrogen“ in fast alarmistischem Ton als das derzeitige Hauptproblem der illegalen Drogenszene bezeichnet wurden. Der Kampf gegen sie müsse endlich international und grenzüberschreitend organisiert werden. Gewarnt wurde ausdrücklich vor – bisher von der Szene eigentlich völlig unbeachteten – Narkose- und Lösungsmitteln, mit deren Hilfe Sexualtäter ihre Opfer wehrlos machten und ihr Erinnerungsvermögen ausschalteten.

Die Regierungen und Hersteller sollten deshalb, so die Uno, sämtliche Narkosemittel in die Kategorie „Drogen“ einreihen und ihre Zugänglichkeit scharf begrenzen und kontrollieren. Außerdem sei es hoch an der Zeit, diese meist geschmacksneutralen und leicht löslichen Mittel mit scharf wahrnehmbaren Geschmacksstoffen anzureichern und den Lösungsvorgang gleichsam zu einem Spektakel zu machen. Wenn der Vergewaltiger seinem potentiellen Opfer die Pille heimlich ins Getränk manipulieren wolle, sollte sich also ein Brodeln und Sprudeln ereignen und das Getränk sollte sich grell verfärben.

Sind solche Maßnahmen aber wirklich nötig? Just zur selben Zeit wie der Uno-Report erschien in dem angesehenen British Journal of Criminology (London) der Bericht über eine ausgedehnte Langzeitstudie, der größte Zweifel an der Seriosität der derzeitigen Vergewaltigungsdrogen-Hysterie wecken muß. 200 Mädchen, die nachts in die Notaufnahme kamen und behaupteten, jemand habe etwas in ihren Drink getan und sie danach vergewaltigt, wurden gründlich untersucht, Mediziner entnahmen Blutproben zur Alkoholbestimmung und suchten im Urin nach Betäubungsmitteln. Das Resultat: Keine einzige Probe enthielt Vergewaltigungsdrogen, aber in 94 Prozent der Fälle wurde deutlich überhöhter Blutalkohol nachgewiesen.

Mit anderen Worten: Sämtliche „Vergiftungsfälle“ durch unfreiwillige Einnahme von Knockout-Pillen oder dergleichen waren vorgetäuscht. Adam Burgess, der Leiter der Langzeitstudie, vertritt die Meinung, die grassierende Vergewaltigungsdrogen-Hysterie sei nichts weiter als Ausfluß eines „urbanen Mythos“, gestrickt von jungen Frauen, die nicht bereit waren zu akzeptieren, daß sie einfach zuviel Alkohol konsumiert hatten. „Junge Frauen scheinen ihre Ängste vor den Folgen des Konsums dessen, was in der Flasche ist, durch Gerüchte darüber, was von jemand anderen in die Flasche gegeben sein könnte, zu ersetzen.“

Übrigens ist die jetzige Studie von Burgess zwar die bisher spektakulärste, aber bei weitem nicht die einzige und auch nicht die erste. Eine voriges Jahr in Australien veröffentlichte Untersuchung an der Universität von Perth kam zu genau dem gleichen Ergebnis. Bei keinem von 97 jungen Frauen (und auch einigen Männern), die über den Zeitraum von 19 Monaten in zwei Krankenhäusern der Stadt aufgenommen worden waren und behauptet hatten, daß ihre Getränke „gespickt“ gewesen seien, konnten K.o.-Tropfen oder -Pillen nachgewiesen werden. Alles war nur eingebildet oder schlicht erlogen.

Nick Ross, der Vorsitzende des angesehenen Londoner Jill-Dando-Instituts für Kriminologie, hat denn auch schon klipp und klar konstatiert: „Es gibt keine Beweise für die angeblich weit verbreitete Verwendung von Hynotika bei sexuellen Übergriffen.“ Was es gibt, sind Beweise, daß heute auch viele junge Mädchen und Frauen üppig zur Flasche greifen; selbst protestantische Bischöfinnen machen dabei bekanntlich keine Ausnahme. Beim Flatrate-Saufen in Bars und Diskos wächst der Prozentsatz der beteiligten Mädchen rasant an. Und oft sind auch Drogen mit im Spiel.

Nächtlicherweile dann beim Nachhausegehen, wenn viele dieser besoffenen und bekifften kleinen Mädchen allein zu Fuß unterwegs sind oder mühsam torkelnd in ihren VW steigen und an keiner einsam blinkenden Ampel mehr anhalten, mag die Reue kommen darüber, daß man sich als von Haus aus charmante junge Dame so gehen läßt. Wo kommt das her, fragt man sich. Und als Erklärung bietet sich nur allzu billig an, daß man eben auch hier „Opfer“ ist, Opfer von profitsüchtigen Gastwirten, am naheliegendsten freilich Opfer von Vergewaltigern mit ihren K.o.-Tropfen.

An sich sind das höchst üble Assoziationen, die das gesellschaftliche Klima flächendeckend vergiften. Elisabeth Badinter, die hochgelehrte, aufgeklärte französische Großfeministin, hat soeben eindringlich vor derlei Unterstellungen und Insinuationen gewarnt. Die Frauen sollten endlich, so Badinter, mit ihrem ewigen Opfergetue aufhören und sich den Tatsachen stellen. Dazu gehört auch, daß sie sich selbstverantwortlich exzessiver, destruktiver Sozialpraktiken enthalten, statt andere dafür verantwortlich zu machen.

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