© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Einer wollte den Umsturz, der andere Restauration
„Die notgedrungene Unfreiheit geistiger Menschen unserer Zeit“: Nähe und Distanz im Briefwechsel Ernst Jüngers mit Hans Grimm
Karlheinz Weissmann

Es erregte ein gewisses Aufsehen, als Ulrich Raulff als Leiter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach unlängst im Interview äußerte, man habe die eigentlich interessanten Themen der Geistes- und Literaturgeschichte des Nachkriegs ausgespart – und zu den Verkannten nicht nur Heidegger, die Georgeaner und die Brüder Jünger, sondern auch Hans Grimm zählte.

Grimm wird für gewöhnlich als Unperson behandelt, ganz gleich, ob es um die Literatur- oder die politische Geschichte geht; die Etiketten, die er angeheftet bekommt – „Völkischer“, „Rechtsextremist“, „Nazi“ oder zumindest „Wegbereiter des Nationalsozialismus“ – machen das hinreichend verständlich. Insofern überrascht, wenn nicht nur Raulff ihn als Größe nennt, mit der man sich befassen sollte, sondern auch der Literaturwissenschaftler Tim Lörke eine erste Annäherung leistet durch die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Grimm und Ernst Jünger.

Um es vorweg zu sagen: Sehr ergiebig ist diese Korrespondenz nicht, die Zahl der Schreiben, die zwischen 1930 und 1956 hin und her gingen, klein, der Inhalt meistens auf konkrete Fragen – Besuche, Tagungen, Institutionen oder Buchprojekte – beschränkt. Lörke kommentiert das Vorgefundene im allgemeinen nüchtern und sachlich richtig, bei den Wertungen fällt das wärmere Licht auf Jünger, das kühlere auf Grimm.

Das Ungenügen, das man trotzdem empfindet, hängt damit zusammen, daß Lörke ein brauchbarer Bezugsrahmen für seine Interpretation fehlt – fehlen muß. Denn der hätte in einer Geschichte der intellektuellen Rechten seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts oder wenigstens der Nachkriegszeit zu bestehen, und die gibt es nicht. Was vorhanden ist, konzentriert sich auf die Weimarer Republik und das NS-Regime, für die Jahre nach 1945 gibt es Ansätze, ohne daß aber die großen Linien sichtbar würden.

Grimm warf Jünger dessen Einzelgängertum vor

Eine Korrektur im Ganzen kann hier nicht geleistet werden, deshalb sollen einige Hinweise anläßlich des nun herausgegebenen Briefwechsels genügen. Die Hauptschwäche von Lörkes Deutung liegt darin, daß er kein Verständnis für die Ausgangslage von Grimm und Jünger hat. Grimm war mit seinem Denken noch in der wilhelminischen Ära verwurzelt. Er stand von Hause in einer nationalliberalen Tradition – was auch die Haßliebe zu England und die Fixierung auf die Kolonialfrage erklärt – und wollte in erster Linie bürgerliche Wertvorstellungen verteidigen. Allerdings sah er sich durch die Niederlage und den Umsturz von 1918 gezwungen, die Erwartung einer Restauration aufzugeben.

Das erklärt im wesentlichen Grimms Wendung zur NSDAP, gegen deren Programm er in Teilen skeptisch war und um deren Massencharakter er wußte, die er aber für fähig hielt, die destruktiven Kräfte der Masse zu bändigen. Was dieses Ziel anbetraf – die notwendige Entmachtung der Masse mit Hilfe der Masse –, stimmte Grimm anderen Vertretern der Konservativen Revolution zu, gerade soweit sie deren gemäßigtem Flügel angehörten.

Jünger darf man dem nicht zurechnen. Als Kopf des nationalistischen Lagers hatte er einen Umsturz vor, der am russischen Muster orientiert war. Zu behaupten, daß das anders wurde, nachdem er sich aus der aktiven Mitarbeit an Publikationen und Bünden zurückgezogen hatte, ist verfehlt. Die Zeitgenossen jedenfalls sahen in der „Totalen Mobilmachung“ und dem „Arbeiter“ revolutionäre Programmschriften, und Grimms Urteil, daß der „Arbeiter“ eigentlich „bolschewistisch“ – genau: nationalbolschewistisch – sei, entsprach der Wahrnehmung vieler Anhänger wie Gegner Jüngers. Die nachträgliche Umdeutung zur sachlichen Diagnose des Zeitalters wird weder dem Inhalt noch Jüngers eigenen Kommentaren aus den Jahren 1932/33 gerecht. Insofern mußte aufmerksame Beobachter irritieren, wenn der Autor nach der Machtübernahme Vorbehalte anmeldete, die sich auf eine Art Sonderrecht des Individuums bezogen, das er gerade noch verhöhnt hatte, und auf moralische Bedenken, über die er mit nietzscheanischem Gestus hinweggegangen war.

Jüngers konsequente Verweigerung gegenüber dem Nationalsozialismus hat ihn moralisch ins Recht gesetzt. Darüber wird aber schnell vergessen, wie gering das Maß an innerer Logik war. Umgekehrt erscheint Grimm als Profiteur der neuen Ordnung, obwohl auch er nie in die NSDAP eintrat und sich manchem Umarmungsversuch der Mächtigen entzog. Er gehörte zwar zu den hoch geehrten Autoren, blieb aber ohne echten Einfluß. In den Briefen aus den dreißiger Jahren fällt auf, daß er Jünger immer wieder deutlich machen mußte, wie gering sein Spielraum war. Gleichzeitig beharrte Grimm darauf, als geistiger Mensch mitverantwortlich dafür zu sein, „daß der Nationalsozialismus und Deutschland gelingt“, und er warf Jünger mit steigender Bitterkeit vor, daß er offenbar nicht so empfand, sondern sein Einzelgängertum pflegte.

Leider verzichtet Lörke darauf, in diesem Zusammenhang die Bedeutung der von Grimm wesentlich mitgetragenen Zeitschrift Das Innere Reich zu erläutern, die zu den einflußreichsten literarischen Organen der NS-Zeit gehörte und einen merkwürdigen Kurs zwischen Anpassung, vorsichtigem Widerspruch und „innerer Emigration“ hielt. In einem Brief an einen der Herausgeber, Paul Alverdes, schrieb Grimm Anfang 1938, wie sehr er darunter leide, „daß die Unfreiheit, die notgedrungene Unfreiheit geistiger Menschen unserer Zeit“ zum alles bestimmenden Faktor werde. Die vor allem von Goebbels angestrengten Maßnahmen gegen Das Innere Reich hätten das Bild ergänzt, das durch die Grimm angedrohte KZ-Haft für den Fall weiterer Kritik nur angedeutet wird.

Bezugnahme auf den Nationalsozialismus

Jedenfalls ist vor diesem Hintergrund weniger unverständlich, warum Grimm nach 1945 glauben mochte, daß eine Zusammenarbeit mit Jünger möglich sei:durch Teilnahme an den wieder stattfindenden „Dichtertagen“ in Lippoldsberg oder einem Zeitschriftenprojekt, das er zusammen mit Hans Carossa in Aussicht genommen hatte. Daß es dazu nicht kam, ging weniger – wie Lörke meint – auf Jüngers désinvolture zurück, eher auf die attraktiveren Konkurrenzangebote, konkret: eine von Klett finanzierte Zeitschrift unter Beteiligung der beiden Brüder Jünger und Martin Heideggers (eventuell auch Carl Schmitts). Der Plan wurde bis zum Ende der vierziger Jahre in immer neuen Varianten diskutiert, bevor er endgültig scheiterte. Zuletzt war Armin Mohler, der seinen Sekretärsposten bei Jünger angetreten hatte, als Koordinator vorgesehen, aber die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedern des ins Auge gefaßten Herausgebergremiums ließen sich sowenig überbrücken wie die Finanzierungsprobleme beheben.

Zu dem Zeitpunkt war – nicht zuletzt mit Unterstützung Grimms, aber entgegen seinen ursprünglichen Absichten – ein anderes Organ gegründet worden, das vom Ansatz her als Wiederaufnahme von Tendenzen der Konservativen Revolution erscheinen konnte: Nation Europa sollte jedenfalls ursprünglich ein Forum sein, das neben Angehörigen der neuen „Frontgeneration“ (vor allem solchen, die mit einer „nationaleuropäischen“ Idee sympathisiert hatten) und Anhängern des „faschistischen Traums“ (Maurice Bardèche) auch die Älteren zu Wort kommen ließ, die noch zum Umkreis der Konservativen Revolution gehörten. Aber die Einbeziehung gelang bloß bei denen, die sich – wie Grimm selbst, Will Vesper, Hermann Claudius oder Bruno Brehm – mehr oder weniger stark mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatten. So stellte Wilhelm Stapel, der für die ersten Ausgaben von Nation Euro­pa Beiträge schrieb, seine Mitarbeit ein, nachdem ein polemischer Beitrag gegen Jünger erschienen war. Dessen Sekretär Mohler teilte dem Herausgeber der Zeitschrift, Arthur Ehrhardt, mit, daß man in Wilflingen nichts von Propaganda für einen „positiven Nationalsozialismus“ halte.

Positionsbestimmungen im Ideologischen

Grimm war in der ersten Nachkriegszeit zweifellos der prominenteste Vertreter einer solchen Idee, was bei Lörke ebenfalls keine Erläuterung findet. Von der „Erzbischofschrift“ (1950) über die Hitler-Apologie „Warum – Woher – Aber wohin?“ (1954) bis zu seiner aktiven Unterstützung der Deutschen Reichspartei ging es ihm darum, nicht nur zwischen einem idealen Nationalsozialismus und dessen Perversion zu unterscheiden, sondern auch Hitler in ein Licht zu rücken, das ihn als Napoleon des 20. Jahrhunderts erscheinen ließ.

Wenn Jünger in einer Art Abschiedsbrief 1956 äußerte, daß die Anfeindungen, die Grimm deshalb erfuhr, nur bedeuteten, daß er eine „eigene Meinung“ habe und „also nicht in die Karthoteken“ passe, war das mehr als Höflichkeit – jedenfalls wird bei Lörke verdeckt, daß Jünger sich keineswegs von den Ideen der politischen Rechten losgesagt hatte. Im „Waldgang“ (1951) wie in „Rivarol“ (1956) ging es durchaus um Positionsbestimmungen im Ideologischen. Was dabei noch gar nicht in den Blick kommt, sind die nur intern, nicht für die Öffentlichkeit gedachten Erwägungen, die eine wesentlich klarere Sprache sprechen. An dem Briefwechsel zwischen Jünger und Mohler wird jedenfalls erkennbar, daß das bisher undeutliche Bild der im weitesten Sinn weltanschaulichen Erwägungen Jüngers in den Nachkriegsjahren überraschend oszilliert zwischen Apolitie, Reminiszenzen an den Nationalbolschewismus, interessanten Erwägungen zu Reaktion und Konservatismus.

Wer das zur Kenntnis nimmt, tut sich schwer, in Jünger ohne Wenn und Aber den „hellwachen Beobachter“ und in Grimm nur den unverbesserlichen „totalitären Intellektuellen“ zu sehen. Die Distanz zwischen beiden hatte weniger mit Differenzen im Politischen und Moralischen, mehr mit Unverträglichkeiten im Persönlichen zu tun, Charakterzügen, Prägungen durch Alter, Herkunft, Schlüsselerfahrungen, traditionellem und existentiellem Selbstverständnis als Schriftsteller: Faktoren, deren Bedeutung in der Beziehung zwischen Intellektuellen regelmäßig unterschätzt wird.

Fotos: Ernst Jüngers Schreibtisch in Wilflingen: Verweigerung gegenüber dem Nationalsozialismus, Ernst Jünger (1944), Hans Grimm (1935): Unverträglichkeiten

„Schwierg und ablehnend“. Der Briefwechsel zwischen Hans Grimm und Ernst Jünger, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Band 34, Heft 1, 2009

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