© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Wikipedia kann’s besser
Wegen mangelnder Sachkenntnis und wissenschaftlicher Schlamperei fällt die Analyse der 68er-Renegaten auf der politischen Rechten leider mau aus
Ellen Kositza

Ob Studenten ihre Seminararbeiten schlicht aus dem Internet herauskopiert haben, ist für den betreuenden Dozenten nicht immer leicht nachzuvollziehen. Manche solcher „copy&paste-Leistungen“ lassen sich durch einfache Eingabe von Schlüsselwörtern in Suchmaschinen ermitteln. Anders steht‘s, wenn das Herunterladen der Vorlage kostenpflichtig ist. Vermehrt gehen Studenten dazu über, ihre kleinen Arbeiten, die maximal einen Forschungsstand referieren, gegen Geld anzubieten: Der Student, der solches Elaborat erwirbt, hat für ein paar Euro einen beträchtlichen Zeit- und Bequemlichkeitsvorteil, der Lehrende hingegen wird kaum auf Verdacht zum Käufer werden.

Bei Steven Heimlichs Arbeit über „Rechte Leute von links“ gestaltet sich die Sache etwas rätselhafter. Wer könnte Interesse an einer verwirrten Zusammenfassung eines akademischen Erkenntnisstandes von anno dazumal für 24,90 Euro haben? Noch dazu, wenn die nur 132 Seiten es auf ganz bizarre Weise „in sich haben“.

Der Reihe nach: Heimlich, gelegentlicher Schreiber bei der taz, schildert einen etwas abseitigen Kampf um die Deutungshoheit über den „Mythos 1968“. Denen, die beizeiten im linken Establishment angelangt sind (wie Otto Schily und Joschka Fischer), stellt er die „rechtsextremen“ Renegaten der Bewegung gegenüber. Namentlich Bernd Rabehl („ein emittierter (!) Professor“), Günter Maschke und Horst Mahler seien heute Vertreter einer „Neuen Rechten“, die ihre Finger in die Wunden nicht erfüllter Revolutionsphantasien legen. So weit: eine in ihren Kategorien vielleicht fragwürdige, doch eine immerhin vielversprechende Hypothese. Die Probleme, an denen Heimlichs Arbeit laboriert, sind allerdings vielschichtig.

Dabei drängt sich das formale Problem noch vor das inhaltliche. Denn der Verlag hat offenbar nicht nur an einem sachkundigen Lektor, sondern auch am Korrektorat und am Setzer gespart. Wenn der Autor weder über Bekannte zum „Nochmal-Drüberlesen“ noch über ein Rechtschreibprogramm verfügt, mag das eine persönlich peinliche Situation sein, dem Verlag stellt es ein Armutszeugnis aus. Um nur eine der ungezählten Stilblüten zu zitieren: „Die Charakterisierung Mahlers als aktivem ‘Vielschreiber’ ließe sich ebenso auf die anderen Autoren übertragen, was wird dem Anspruch, den Erinnerungsort 1968 aus neu zu vermessen am ehesten gerecht. Das sowohl in puncto ideologischer Radikalität als auch aufgrund der Erinnerungsort vermißt Maßstäbe setzt. (…) Die Autoren des Deutschen Kollegs sind, was ebenfalls Einfluß auf diese Arbeit hat, da tunlichst alle verfügbaren Puzzleteile zu berücksichtigen sind, um ein möglichst vollständiges Bild des Gegenstands zu erhalten.“ So ähnlich geht es durch die gesamte „Arbeit“. Daß in Sätzen unvermittelt einzelne Buchstaben auftauchen, daß munter zwischen 1968 und „1968“ chiffriert wird, daß ein Historiker namens „Götz Alys“ und ein „Mechterheimer“ zitiert wird, daß überhaupt bis auf wenige Ausnahmen (lang und breit: Claus Wolfschlags „Bye-bye ‘68“) Quellen (die jede Universitätsbibliothek vorhält) nur aus der Sekundärliteratur (vor allem Gessenharter, Braun, Pfahl-Traughber) entnommen werden, daß teils seit Jahren verstorbene „Rechte“ wie Günther Nenning, Karin Struck, Günter Rohrmoser und Baldur Springmann hier als Sprachrohre einer aktuellen Bewegung wahrgenommen werden – all diese Nachlässigkeiten erschweren in der Summe bereits eine sachliche Rezeption des Buchs.

Inhaltlich fällt es Heimlich sichtlich schwer, Sachverhalte und Personalien zu gewichten. Daß Leo Kofler – die Publikation dessen Schriften durch den „einschlägigen“ Stocker-Verlag wird wegen Mißachtung „wissenschaftlicher Standards“ gerügt – eine größere Bedeutung für die „Neue Rechte“ hätte, dürfte ebenso fragwürdig sein wie die behauptete Bedeutung eines Romans „Feuerzeichen“ einer Ingrid Weckert. Die Frage, ob die „linken oder die rechten 68er im Kampf um das Erbe der Revolte die besseren Argumente auf ihrer Seite haben“, will Heimlich jedenfalls nicht beantworten. Das ist gut so. Manchmal ist Schweigen Gold, mitunter bereits 132 Seiten vor dem Schlußwort.

Steven Heimlich: Rechte Leute von links: Die 68er-Bewegung im Fokus der Neuen Rechten. Tectum Verlag, Marburg 2009, broschiert, 132 Seiten, 24,90 Euro

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