© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Die fetten Jahre sind vorbei
Finanzpolitik: Die Wirtschaftskrise hat schonungslos offenbart, daß viele Städten und Gemeinden in Deutschland faktisch pleite sind
Hinrich Rohbohm

Schlaglöcher in den Straßen, marode Schulen, sanierungsbedürftige Museen, Schwimmbäder, die vor der Schließung stehen: Deutschlands Kommunen ächzen unter der Schuldenlast. Schon seit Jahren ist das so. Doch durch die Wirtschaftskrise ist es nun in zahlreichen Kommunen zu dramatischen Einbrüchen bei der Gewerbesteuer gekommen. So fielen die Einnahmen bei dieser wichtigsten Steuer für die Kommunen allein im dritten Quartal des vorigen Jahres um ein Drittel niedriger aus als 2008.Nicht wenige Städte und Gemeinden stehen inzwischen vor dem finanziellen Kollaps. Denn gleichzeitig steigen die Ausgaben. 126,1 Milliarden Euro gaben Deutschlands Kommunen laut Statistischem Bundesamt bis Ende Oktober vergangenen Jahres aus – ein Zuwachs um 6,6 Prozent. War zudem im Jahr 2008 noch ein Überschuß von 5,6 Milliarden erzielt worden, so steht nun ein Haushaltsdefizit von 6,7 Milliarden Euro zu Buche.

Vor allem in Nordrhein-Westfalen gehen im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter aus. Während sich die Städte und Gemeinden anderer Bundesländer in den Jahren 2007 und 2008 zumindest ein bescheidenes Finanzpolster anlegen konnten, blieben in zahlreichen Kommunen des bevölkerungsreichsten Bundeslandes die schwarzen Zahlen aus. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zeichnet sich diese Entwicklung bereits seit den neunziger Jahren ab. So sei etwa das Defizit pro Einwohner von durchschnittlich 49 Euro zwischen 1991 und 2000 auf inzwischen 75 Euro im Zeitraum von 2001 bis 2007 gestiegen.

500 Stellen werden nicht neu besetzt

Aufgrund der Defizite wurden dringende Sanierungsmaßnahmen hinausgeschoben, Straßen notdürftig geflickt, die Eintrittsgelder für kommunale Einrichtungen und Gebühren erhöht. Haushalte wurden von den Aufsichtsbehörden genehmigt, obwohl sie streng genommen nicht genehmigungsfähig waren, weitere Schulden angehäuft. Dann kam die Wirtschaftskrise – und legte offen, was auch mit bester Haushaltskosmetik nicht mehr zu verschleiern war: Zahlreiche Landkreise, Städte und Gemeinden in Deutschland sind faktisch pleite.

Die Stadt Bochum etwa wird in diesem Jahr einen Schuldenstand von 1,35 Milliarden Euro aufweisen. „Das ist eine Pro-Kopf-Verschuldung von 3.550 Euro“, sagt der Pressesprecher der Ruhrstadt, Thomas Sprenger. Die 380.000 Einwohner zählende Reviermetropole ist von der Krise voll erwischt worden. Da ist das Nokia-Werk, das seine Pforten schließen mußte und mit dem der Stadt ein potenter Steuerzahler wegbrach. Da ist Opel. Der Autokonzern produziert in Bochum den Zafira und den Astra. Durch die Wirtschaftskrise ist er ebenfalls in Turbulenzen geraten.

Die Bezirksregierung in Arnsberg, die als Aufsichtsbehörde die Finanzen der Stadt kontrolliert, hat den Bochumer Haushalt in diesem Jahr nicht genehmigt. Selbst das Haushaltssicherungskonzept, zu dessen Aufstellung die Kommune bei einem nicht ausgeglichenen Haushalt verpflichtet ist, reicht ihr nicht. Das vom Rat beschlossene Zahlenwerk sah bis zum Jahr 2015 Einsparungen in Höhe von 100 Millionen Euro vor. Allein 500 ruhestandsbedingt in der Stadtverwaltung frei werdende Stellen sollen danach nicht wiederbesetzt werden.

Nicht genug, heißt es aus Arnsberg. Dessen Regierungspräsident verlangt Einsparungen von weiteren 100 Millionen Euro. „Aber was sollen wir machen, manche Stellen kann man einfach nicht streichen“, meint Thomas Sprenger.

Derzeit wirtschaftet Bochum mit einem Nothaushalt. Die Stadt wollte eigentlich ein Konzerthaus bauen. Fünfzehn Millionen Euro hätte sie dafür aufbringen müssen: gestrichen. Bochum darf kein Geld für zusätzliche freiwillige Leistungen ausgeben. Besuchern von Museen, Konzerten, dem Planetarium oder von Büchereien drohen nun kräftige Preiserhöhungen.Dabei ist das Ruhrgebiet ausgerechnet in diesem Jahr zur europäischen Kulturhauptstadt erkoren worden.

Und dann ist da noch der frostige Winter. In diesem Jahr ist er so streng wie seit Jahrzehnten nicht mehr und sorgte dafür, daß neben den Haushaltslöchern auch die Schlaglöcher größer wurden. Und während die Temperaturen zeitweise in den zweistelligen Minusbereich absackten, muß die Stadt auch noch die Badetemperatur des städtischen Schwimmbads senken, um Kosten zu sparen. „Hier is’ alles kaputt“, hört man Bochums Bürger immer wieder klagen. „Wir pumpen soviel Geld in den Osten, aber bei uns gehen inzwischen die Lichter aus“, schimpft ein Familienvater, der sich unter anderem darüber empört, daß an den Schulen „nichts gemacht“ werde.

Von Bescheidenheit war keine Rede mehr

In den östlichen Bundesländern zeigt sich ein etwas anderes Bild: sanierte Innenstädte, neue Straßen. Die Kommunen Mitteldeutschlands haben in den vergangenen Jahren vom Solidaritätszuschlag profitieren können. Doch weder Wirtschaftskrise noch Soli-Zuschlag sind allein für die unterschiedlichen finanziellen Verhältnisse in den Kommunen verantwortlich.

Auch Moral und Mentalität spielen eine nicht unwesentliche Rolle und dürften Grund dafür sein, daß manches Defizit auch hausgemacht ist. In den siebziger Jahren nahm das Anspruchsdenken der Menschen zu, Spaßgesellschaft und Egoismus hielten Einzug ins kommunale Handeln. Es begann die Zeit der Sunnyboys und Strahlemänner. Werte wie Sparsamkeit und Bescheidenheit gerieten in den Hintergrund. Verwaltungschefs, denen oftmals ihr Ego wichtiger war als der Ort, setzten sich teure „Denkmale“, wie es im Haushaltspolitiker-Jargon oft heißt: Konzertsäle, Schlösser oder Tagungszentren. In den Medien als Macher dazustehen, spielte in den Köpfen der neuen Zeitgeist-Politiker eine größere Rolle als solide Finanzen.

In den neuen Ländern sah die Welt vor der Einheit vollkommen anders aus. Schlaglöcher und marode Gebäude gehörten in Zeiten des real existierenden Sozialismus zum Alltag. Dies mag ein Grund dafür sein, daß es den mitteldeutschen Kommunen heute besser gelingt zu improvisieren, während es zahlreichen Gemeinden der alten Länder schwerfällt, sich von den einst fetten Jahren zu verabschieden.

So wie in der thüringischen Gemeinde Niederzimmern. Dort hat die Verwaltung sogenannte Schlagloch-Patenschaften eingeführt. Bürger übernehmen dabei die Kosten für ein Schlagloch, zahlen 50 Euro und erhalten im Gegenzug eine Plakette mit Wunschaufschrift in den Asphalt eingelassen: ein Walk of Fame der anderen Art, mit dem die Gemeinde Geld spart.

Soweit ist es in der Stadt Erding lange nicht. „Wir können alle unsere laufenden Unterhaltungen umsetzen“, sagt Kämmerer Hermann Held. Zwar muß auch der 35.000-Seelen-Ort in der Nähe von München in diesem Jahr ein Defizit von 500.000 Euro verkraften. Doch die Stadt verfügt über Rücklagen in Höhe von 50 Millionen Euro, die Verschuldung beziffert sich gerade einmal auf 2,3 Millionen Euro, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von weniger als 70 Euro entspricht. „Wir haben das Defizit ohnehin nur deshalb eingefahren weil wir aufgrund der Gewinne eines potenten Gewerbesteuerzahlers im Jahr 2008 jetzt mit der zweijährigen Verzögerung entsprechend höhere Umlagen an den Landkreis abführen müssen“, erklärt Held. Der krasse Unterschied zu Bochum zeigt die große Kluft auf, die in Deutschland zwischen armen und wohlhabenden Kommunen besteht. Wer nicht wie Erding über niedrige Schulden und ein Finanzpolster zu verfügt, befindet sich in einem finanziellen Teufelskreis.

Es sind die seit Jahren nachhaltig wirtschaftenden Kommunen, die ihren Gestaltungsspielraum beibehalten können. „Große Prestige-Objekte haben wir vermieden“, sagt Held. Doch auch in Erding hat Wünsche. Die S-Bahn soll „in den nächsten zehn Jahren“ an den Münchner Flughafen angebunden werden. Das könnte selbst in der Weißbier-Stadt zu einem Kraftakt werden.

Foto: Von Schnee, Eis und Frost verursachte Straßenschäden: Aus Schlaglöchern werden in vielen Gemeinden Haushaltslöcher

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