© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Affront gegen Washington
Israel: Die Verkündung des Wohnungsneubaus kam zur Unzeit, aber für eine Aufgabe von Ostjerusalem gibt es keine politische Mehrheit
Ivan Denes

Die Ankündigung des zuständigen israelischen Innenministeriums, weitere 1.600 Wohneinheiten in Ostjerusalem zu bauen, wäre unter anderen Umständen ohne besondere Aufregung über die internationale politische Bühne gegangen. Denn der dortige Siedlungsbau war ausdrücklich aus den Bestimmungen des zehnmonatigen Baumoratoriums ausgenommen worden. Doch Pläne wurden genau an jenem 9. März publik, an dem Joe Biden auf dem Ben-Gurion-Flughafen landete. Der US-Vizepräsident war gekommen, um die indirekten Friedensverhandlungen einzuleiten, denen zuvor sowohl Israel als auch die Palästinenser zugestimmt hatten. Stunden vor der undiplomatischen Bauankündigung hatte Biden zudem die Festigkeit des amerikanisch-israelischen Bündnisses und die De-facto-Sicherheitsgarantie Washingtons zugunsten des jüdischen Staates erneut betont.

Benjamin Netanjahu befand sich daher plötzlich in einer überaus unangenehmen Situation gegenüber seinem hohen Staatsgast. Der israelische Ministerpräsident entschuldigte sich zwar sofort und beteuerte, daß er nicht über das Vorgehen seines Innenministers in Kenntnis gesetzt war. Doch sowohl Biden wie auch die US-Regierung empfanden den Vorfall als direkten Affront. Außenministerin Hillary Clinton legte am Wochenende sogar nach und sprach von einem äußerst negativen Signal, das das Vertrauen in den nahöstlichen Friedensprozeß untergrabe. Auch das „Nahost-Quartett“ aus Uno, EU, USA und Rußland verurteilte den Siedlungsplan ausdrücklich. Netanjahu bestellte Innenminister Eli Yishai ein, um ihm eine amtliche Rüge zu erteilen. Tags darauf entschuldigte sich dieser, nachdem er zunächst arrogant erklärte, er habe nichts zu bedauern.

Die Beteuerungen Netanjahus klingen glaubwürdig. Denn Yishai ist Vorsitzender der ultrareligiösen Schas-Partei, und er unternimmt keinen wichtigen Schritt ohne Rücksprache mit deren ideologischem Ziehvater, Rabbi Ovadia Josef. Der 90jährige aus Bagdad stammende sephardische Großrabbiner ist ein erklärter Fundamentalist, der beispielsweise davon überzeugt ist, daß die Shoah wegen der zahlreichen Sünden des jüdischen Volkes als „Gottes Strafe“ erfolgt sei. Und Jerusalem als unteilbare, ewige Hauptstadt Israels gehört zum festen Weltbild jedes gläubigen Juden und jedes fundamentalistischen Politikers.

Netanjahu und seine Likud-Partei gehören zwar zum rechten Spektrum, aber der Premier ist während seiner ersten Amtszeit schon einmal „umgefallen“: 1998 überließ er die Kontrolle über große Teile der Stadt Hebron (dort befindet sich die für Juden und Muslime heilige Höhle Machpela mit den Patriarchengräbern) den Palästinensern. Erst 2002, nach der „Zweiten Intifada“, übernahm Israel wieder die Kontrolle in ganz Hebron. Und der wegen Korruptionsverdacht aus dem Amt gedrängte Premier Ehud Olmert erklärte sich während der Verhandlungen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bereit, Ostjerusalem als Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaates den Arabern zu überlassen.

Damit solche Varianten im Zuge der von Biden einzuleitenden indirekten Verhandlungen überhaupt nicht zur Diskussion kommen, haben Rabbi Ovadia Josef und Yishai „vorbeugend“ gegengesteuert. Der Vorgang selbst, also die Genehmigung von Neubauten in Jerusalem ist langwierig, eine Verschiebung hätte nichts geändert, aber eine internationale Protestwelle vermieden und keine Austrittsdrohungen der linken Koalitionspartner ausgelöst. Die linksliberale Zeitung Haaretz vermeldete vorige Woche außerdem, daß die zuständigen Ausschüsse der Jerusalemer Stadtverwaltung an Plänen für den Bau weiterer 50.000 Wohneinheiten im Ostteil der Stadt arbeiteten. Das dürfte die Verhandlungen und Diskussionen über eine mögliche Teilung der allen drei Buchreligionen heiligen Stadt ohnehin beenden.

Die westliche Empörung über die Siedlungspläne offenbarte zugleich deren Unkenntnis über die brisante Faktenlage im Heiligen Land. Es ist illusionär zu glauben, daß es je eine gewählte israelische Regierung geben könnte, welche die etwa 300.000 Juden aus den Siedlungen des Westjordanlandes und die etwa 200.000 Juden aus dem Ostteil Jerusalems aus ihren Häusern vertreiben und umsiedeln wird.

Aber Deutschland habe nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich auch Ostpreußen, Schlesien und Pommern verloren und heute gebe es keine ernstzunehmenden Stimmen mehr, die die Rückgabe der Ostgebiete fordern, wird gern in Berlin argumentiert. Doch die nahöstliche Lage ist eine andere: Die arabischen Staaten haben 1967 einen Aggressionskrieg verloren. Ägypten hat den Sinai zurückbekommen. Jordanien hat seine Ansprüche an die Palästinenser abgetreten. Syrien fordert weiterhin die Rückgabe des Golan. Die Palästinenser, die nie einen eigenen Staat hatten, haben zweimal die Intifada und auch den Terrorkrieg verloren. Mit welchem Recht kann angesichts dessen die israelische Siedlungspolitik verurteilt werden?

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