© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Komplexe Aufgaben
Irak: Allianz von Premier Maliki stärkste Kraft / Religiöse Schiiten-Parteien verlieren / Es droht eine schwierige Regierungsbildung
Michael Wiesberg

Auch wenn das amtliche Endergebnis der Parlamentswahlen im Irak noch aussteht, so zeichnet sich aus Zwischenergebnissen ab, daß die Rechtsstaat-Allianz des amtierenden Premiers Nuri al-Maliki die Wahl wie erwartet gewonnen hat. 19 Millionen Iraker waren zur Wahl aufgerufen; in den schiitischen Gebieten betrug die Wahlbeteiligung etwa 55 Prozent, in den sunnitischen Regionen rund 70 Prozent, was eine Wahlbeteiligung von 62 Prozent ergibt. Auffällig ist das Absinken der Wahlbeteiligung in den südirakischen Provinzen bzw. in Bagdad, wo diesmal nur noch knapp über 50 Prozent zur Wahl gingen. 2005 waren es hier noch 73 Prozent.

Dennoch bleibt selbst die gesunkene Wahlbeteiligung schon deshalb bemerkenswert, weil die Iraker demonstrierten, daß sie sich durch Anschlagsdrohungen nicht abschrecken lassen. Immerhin gab es am Wahltag bei Anschlägen 38 Tote. Der sich abzeichnende Abstand der Rechtsstaat-Allianz zu den anderen großen Wahlbündnissen ist allerdings nicht so groß, daß eine Wiederwahl Malikis als beschlossene Sache betrachtet werden kann. Weit hinter den Erwartungen blieb die Allianz vor allem in den sunnitischen Gebieten zurück. Offensichtlich zeigten hier die Selbstmordattentate in Bagdad Wirkung, die Malikis Renommee als Sicherheitsgarant nachhaltig Schaden zugefügt haben könnten. Darüber hinaus könnte der Streit um die 500 Kandidaten, denen Verbindungen zur Baath-Partei unterstellt und die dann doch mittels Beschluß der Wahlkommission zugelassen wurden, für einigen Unmut sorgen. Es stand der Verdacht im Raum, daß man sich auf diese Weise unbequemer Konkurrenz entledigen wollte.

Das Ergebnis der Rechtsstaat-Allianz hat bereits zu entsprechenden Forderungen in den anderen Bündnissen geführt, die auf eine Regierungsbeteiligung pochen. Dazu gehört zum Beispiel das reformorientierte Bündnis Al-Irakija des säkularen Schiiten Ijad Allawi, das offensichtlich Stimmen gewinnen konnte. Dazu gehört weiter die Schiiten-Allianz von Ammar al-Hakim. Beide reklamieren derzeit den zweiten Platz hinter al-Malikis Allianz für sich.

Welche Streitigkeiten hier womöglich noch bevorstehen, zeigt die Drohung der Schiiten-Parteien von Hakim, das offizielle Endergebnis nicht anzuerkennen, falls die Ergebnisse den Aufzeichnungen der eigenen Wahllisten widersprechen. Die Schiiten-Allianz sieht sich in mehreren wichtigen Provinzen knapp hinter der Rechtsstaat-Allianz und verbreitet die Behauptung, es gebe einen weiten Abstand zur Al-Irakiya-Liste. Dieser Abstand wurde von einer Al-Irakija-Sprecherin hingegen vehement bestritten, die betonte, daß die Liste in mehreren Nordprovinzen Platz eins erreicht und auch in Bagdad und Nasra gut abgeschnitten habe. Diese Streitigkeiten könnten womöglich in eine Regierung der nationalen Einheit münden, an der alle wichtigen Parteien des Irak beteiligt werden. So orakelte zum Beispiel Faruk Abdullah, ein Mitglied des Maliki-Bündnisses: „Es wird auf eine Regierung hinauslaufen, an der alle Interessengruppen beteiligt werden.“

Iraker sind ein „moderates und tolerantes Volk“

Dies gilt auch für die Kurden, bei denen sich offenbar eine neue Partei, die unter der Bezeichnung „Goran“ ins Rennen ging, ins Spiel bringen konnte. In den kurdischen Nordprovinzen stimmten etwa ein Viertel der Kurden für diese neue Partei, die damit den etablierten Kurdenparteien KDP und PUK künftig Konkurrenz macht.

Auffällig sind die Verluste der religiösen Schiiten-Parteien, zu deren Exponenten auch der im Iran residierende Prediger Muktada al-Sadr gehört. Offensichtlich hat die klare Distanzierung des irakischen schiitischen Klerus von diesen Parteien Wirkung gezeigt. 2005 konnten diese Parteien noch punkten, weil sie sich als eine Art politisches Sprachrohr der Geistlichkeit präsentieren konnten. Ali al-Dabbagh, bisher Regierungssprecher von Maliki, hat für diese Entwicklung noch eine andere Erklärung: „Viele Leute haben die Nase voll von den religiösen Parteien“, erklärte er gegenüber der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Die Iraker seien ein „moderates und tolerantes Volk“, das „einen zivilen und keinen religiösen Staat“ wolle.

Auf die neue irakische Regierung – wie immer sie auch aussehen mag – warten komplexe Aufgaben: angefangen von der weiteren Stabilisierung der Sicherheitslage über die Versorgung der Bevölkerung, über den Aufbau des Schul- und Gesundheitswesens bis hin zur Verbesserung der regionalen Beziehungen. Nicht zuletzt davon wird abhängen, ob die US-Truppen wie geplant und von US-Präsident Barack Obama angekündigt abziehen können.

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