© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

CD: Changes
Haudegen
Dominik Tischleder

Wer tief im Archiv der JF wühlt, wird, angelangt am 23. September 1994, auf einen immer noch lesenswerten Reisebericht einer damaligen Redakteurin über die Großen Seen, genauer über Washington Island im äußersten Norden der USA stoßen. Dort wird darüber berichtet, wie die teils widrigen Umstände der Insellage einen ganz eigenen und besonders freiheitlich gesinnten Menschenschlag miterzeugt haben, der Unabhängigkeit und Selbständigkeit über alles schätzt – aber auch darüber, wie eine solche Umgebung das Erleben echter Gemeinschaftsgefühle begünstigt. Insbesondere wird das Ehepaar Karen und Robert Taylor vorgestellt, die Gastgeber der Redakteurin, die unter anderem dafür gesorgt haben, daß bei den jährlichen Viking Games alte skandinavische Bräuche wiederaufleben.

Nicht erwäht wird in dem Artikel allerdings, daß ebendiese Taylors schon damals mit einem weiteren Verwandten unter dem Namen Changes ein eigenes Folk-Projekt betrieben. Die Geschichte der Gruppe geht bis in die Mitte der Sechziger zurück, und mit den üblichen Unterbrechungen gibt es sie bis heute. Mittlerweile ist jedoch die Besetzung auf zwei Männer (nebst Gästen) zusammengeschrumpft: Robert und sein Cousin Nicholas Tesluk.

Musikalisch darf man Changes (www.highfiber.com), obwohl sie – unverdientermaßen – natürlich weit unbekannter sind, mit solch alten Größen wie Simon & Garfunkel vergleichen, die nostalgisch gestimmte Liebeslyrik unterstreicht das noch. Dennoch, Changes wirkten immer schon abenteuerlustiger und viriler, und das liegt nicht nur daran, daß sie es verstehen, ihre Psychedelia mit subtilen Zitaten von Oswald Spengler, Ezra Pound oder auch William Burroughs zu würzen. Hätte die Bewegung der Beatniks einen direkt mit ihr assoziierbaren Folk-Stil entwickelt, wie das bei uns mit den bündischen Fahrtenliedern der Wandervögel der Fall ist, er würde wohl wie Changes klingen.

Neben dem oft zweistimmigen Männergesang ist Tesluks voluminöses Gitarrenspiel der größte Trumpf des Changes-Folk. Er benutzt eine spezielle Akustikgitarre, die zumindest dem Nichtmusiker beim Hören das Gefühl gibt, daß hier mindestens zwei Gitarristen am Werk sind. Auch musiktechnisch ist ihr Stil auf einer ganz anderen Ebene anzusiedeln als die Folk-Tradition der Vietnam-Protestgeneration, die ohnehin mehr über die Botschaft wirkte.

Der Lyriker Robert Taylor, ein echter Haudegen, der in den Sechzigern in gegen Castro-Cuba gerichteten paramilitärischen Einheiten aktiv war und bis heute wie ein Pirat aus Stevensons „Schatz­insel“ aussieht, ist zwar politisch inzwischen ein gutes Stück sozialverträglicher – dennoch scheint es, als ob Changes auf rein musikalischer Ebene mit so manchem musizierenden Vertreter der Hypermoral noch Rechnungen zu begleichen haben. Man darf sagen, daß diese imaginäre Frontstellung – Changes als Gegenbild zu Joan Baez und Konsorten – den Geist des Projekts nach wie vor ein wenig mitbestimmt.

So hat sich auch auf „Lament“, dem vierten Vollzeitstudioalbum, nichts wesentliches geändert. Es wirkt ein wenig introspektiver als der direkte Vorgänger, was möglicherweise am Thema liegt – viele der insgesamt 13 Stücke erinnern lyrisch an verflossene Liebschaften. Der Poet Taylor zeigt hier einmal mehr seine wehmütige Seite. Empfehlung!

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