© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Visionen von Paris und Rom
Prometheusfunken: Der Bildhauer, der dem wilhelminischen Gigantismus den „Stempel republikanischer Empfindung“ aufprägte
Sebastian Hennig

In seinem Roman „Adel im Untergang“ schildert Ludwig Renn den „Dresdner Fürstenzug“: „Am Schluß folgten zu Fuß einige Männer in schäbigen Anzügen. Das waren die sächsischen Maler, Komponisten und sonstige Helden des Geistes.“ Einer dieser Fußgänger im Troß ist der Bildhauer Johannes Schilling. Er scheint doch irgendwie versöhnt damit, auf Schusters Rappen unterwegs zu sein. Vielleicht auch weil seine verehrten Lehrer Ernst Rietschel, Julius Hähnel und Carl Peschel mit von der Partie sind.

Als Johannes Schilling 1828 in Mittweida geboren wurde, lag die Geburt des Königreichs Sachsen aus dem Schlachtfeld bei Jena und Auerstedt gerade zwölf Jahre zurück. Im Gegensatz zu den anderen deutschen Königen von Napoleons Gnaden ließ sich der sächsische keine Kroninsignien anfertigen. Die Förderung der Künste und der Bildung strahlte, wenn auch matter als im vorangegangenen Jahrhundert, hinreichend um den Thron. Und Johannes Schilling verlieh dieser mit seiner Lebenszeit identischen Epoche den entsprechenden bildnerischen Ausdruck.

Die Familie Schilling übersiedelte 1829 nach Dresden. Ab 1842 besucht er die Kunstakademie, erst im Zeichensaal bei dem Nazarener Carl Peschel, später kommt er zu Ernst Rietschel und damit zugleich an den Kulminationspunkt gegenwärtiger Bildhauerkunst. Bereits 1848 hilft er dem Meister bei dessen Braunschweiger Lessing-Denkmal, später als ausgereifter Künstler schafft er Figuren für das Luther-Denkmal in Worms.

Vorerst aber wird es unruhig in Dresden. In der Akademischen Legion nimmt Schilling 1849 am Aufstand teil. 1850 geht er nach Berlin, um seine Studien unter der Protektion des Rietschel-Lehrers Rauch und im Atelier Friedrich Drakes fortzusetzen. Am Vorabend der Enthüllung von Rauchs Reiterstandbild Friedrichs II. trifft er in Stadt ein. 1852 kehrt er nach Dresden zurück und arbeitet im Atelier des Akademie-Professor Julius Hähnel. Ihm bleibt er zeitlebens freundschaftlich verbunden, um so mehr, als er später nach Rietschels Tode dessen Nachfolger und unmittelbarer Kollege Hähnels wird.

Ein Akademie-Stipendium ermöglicht ihm von 1854 bis 1856 einen Rom-Aufenthalt. Täglich führt sein Spaziergang zu den Kolossen von Monte Cavallo. Sächsisch-gemütvolle Abwandlung der Antike ist das Merkmal von Schillings Kunst. Einzig in der Quadriga für das Opernhaus scheint einmal die schreckliche Seite der ungerührten Schönheit der Griechen auf. Nicht Phöbus mit den Sonnenpferden zieht herauf, wie Kleist sie auf dem Titelblatt seiner gleichnamigen Dresdner Zeitschrift zeigte, sondern Dionysos und Ariadne auf dem Leopardenwagen stürmen orgiastisch einher.

Ersten Ruhm erwirbt er mit den vier Gruppen der Tageszeiten (1863–1868) an der Freitreppe zur Brühlschen Terasse. Wie im 18. Jahrhundert Mattheus Daniel Pöppelmann und Balthasar Permoser im Zwinger und Gaetano Chiaveri und Lorenzo Mattielli an der Hofkirche den großen Stil vorgaben, so vollendet Sempers Baukunst im Verein mit Schillings Bildhauerei im 19. Jahrhundert die Gestalt der Stadt. Die letzten zehn Lebensjahre wohnte er in Klotzsche, das erst 1950 nach Dresden eingemeindet wurde. Die Villa Goethestraße 9 hat sein Sohn Rudolf Schilling mit Julius Gräbner erbaut. Zum hundertsten Todestag am 21. März wird von einer Bürgerinitiative eine aus Spenden finanzierte Tafel angebracht.

„Ein weibliches Wesen mit dem Schwert ist unnatürlich“

Die Erstellung des Niederwalddenkmals als Monument des Reichsfriedens und der Einheit wurde für den Bildhauer zu einer heiklen Unternehmung, die ihn auch finanziell belastete. Um die Ausbildung seiner Töchter zu gewährleisten, mußte er zusätzlich weitere Aufträge annehmen. Gegen eine vorfristige Enthüllung wegen der Erkrankung des Kaisers setzte er sich entschieden zur Wehr. Auch fand er sich nicht bereit, die Germania gegen Westen zu kehren.

Damit rettete er indirekt das Denkmal auf unsere Tage. Denn die französischen Alliierten versuchten nach 1945 dessen Vernichtung zu veranlassen. Eine amerikanische Kommission befand aber, daß nichts Auftrumpfendes an der Statue zu finden sei. Die Figur erinnert freilich mehr an die versöhnliche Darstellung Italiens und Deutschlands als zugeneigte Schwestern auf einem Gemälde des Nazareners Overbeck aus der Dresdner Gemäldegalerie. Bismarck blieb 1883 der Einweihungsfeier fern und äußerte seine Vorbehalte: „Die Figur der Germania finde ich nicht passend. Ein weibliches Wesen mit dem Schwert in dieser herausfordernden Stellung ist etwas Unnatürliches.“

Anklänge an die Naturmystik des Sächsischen Barock zeigt das Gewand der Germania, dem Tiergestalten aus dem deutschen Märchen eingewoben sind: Drachen, Bären, Hirsche, Raben, Tauben, Schwäne. Was wir heute als hohes Lob empfinden, war vom Vorsitzenden des Denkmalausschusses damals als Vorwurf gemeint: „Die ganze Conception des Denkmals trägt eben den Stempel republikanischer Empfindung!“ Die französische Replik folgte drei Jahre darauf mit der Freiheit, die seither mit wesentlich offensiverer Gebärde am Hafen von New York die Fackel schwingt.

Den eigentlichen Abschluß der Gestaltung des städtischen Raums markiert das Reiterdenkmal König Johanns, des Dante-Übersetzers „Philaletes“, enthüllt zur 800-Jahr-Feier des Hauses Wettin. Sempers Pläne, vom Zwinger Pöppelmanns ausgehend ein zur Elbe ausgerichtetes Forum zu schaffen, bewegten noch Schilling, als er vorschlägt, „dem Platze das Gepräge eines Friedensforums“ zu verleihen, mit dem Denkmal des Königs „als Friedensfürsten, als den milden Regenten eines strebsamen Volkes und gesegneten Landes“. Kaiser Wilhelm II. sagte einmal: „Wenn ich nicht Kaiser wäre, wäre ich Bildhauer geworden.“

In dieser Hochzeit des wilhelminischen Gigantismus ist Schilling betont maßvoll, die Gestalt sollte keinesfalls riesig ausfallen, sie muß „nur groß genug sein und eine klare Silhouette haben“. Wer im Morgendunst vom Wall des Zwingers auf den Theaterplatz herabschaut, kann für Augenblicke an der Elbe einer Vision von Großartigkeit teilhaftig werden, die an Paris und Rom gemahnt.

Der Platz ist mit verschiedenen Sorten von Mittweidaer Granit gepflastert. Die um das Denkmal raumgreifend schwingenden Ellipsen gemahnen an die Gestaltung des Kapitolsplatzes mit dem Reiterstandbild Marc Aurels von Michelangelo.

Die Beleuchtung wird in die Gestaltung einbezogen, die Kandelaber stehen in Zusammenhang zu den vier am Standbild postierten, und die versinnlichen laut Schilling „die Flamme künstlerischer Begeisterung, für die Leuchte der Wissenschaft, für die Fackel kriegerischen Muthes und für den Prometheusfunken der Intelligenz“. Der ersteren Flamme über einige weitere Jahrzehnte Nahrung gegeben zu haben – mit seinen Werken, aber auch durch die Schüler und Enkelschüler – ist Schillings Verdienst.

In ihrer Schilling-Monographie bemerkt Bärbel Stephan im Jahr 1988: „Das ‘Phänomen’ von zwei gleichzeitig in Dresden existierenden Lehrstühlen für Bildhauerkunst (…) hat sich bis zum heutigen Tage erhalten, da die Professoren Heinze und Jaeger je einem Bildhaueratelier an der Hochschule für Bildende Künste vorstehen.“

Inzwischen muß festgehalten werden, daß mit der Emeritierung von Gerd Jaeger (1994) und Helmut Heinze (1997), die beide in den fünfziger Jahren selbst in Dresden bei hervorragenden Meistern des Faches studierten, dieses Phänomen erloschen ist. Dabei bestünde kein Mangel an lehrbefähigten Ururenkel-Schülern Schillings. Einige unter den Absolventen der vergangenen Jahrzehnte können inzwischen auf eine eigene gereifte künstlerische Position verweisen, die sich keineswegs in Eklektizismus erschöpft.

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