© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Preußen ohne Ende
Eine neue Darstellung der Geschichte des Hohenzollern-Staates beschränkt sich auf die Geschicke von sieben Königen
Marcus Schmidt

Das volkstümliche Diktum „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ wird von Preußen auf eine harte Probe gestellt. Auf die Frage, wann die preußische Geschichte geendet hat, werden je nach Blickwinkel des Betrachters die unterschiedlichsten Daten genannt. Schon ein kurzer Überschlag ruft fünf Ereignisse in Erinnerung, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind: von der faktischen Auflösung Preußens durch die Alliierten 1947 über den Preußenschlag am Ende der Weimarer Republik (1932) und den Zusammenbruch der Monarchie (1918) bis hin zum Tode Wilhelms I. (1888) und schließlich die Reichsgründung am 18. Januar 1871.

Der stellvertretende Chefredakteur des populärwissenschaftlichen Geschichtsmagazins Damals, Uwe A. Oster, hat sich für sein Buch „Preußen. Geschichte eines Königreichs“, für das Jahr 1871 entschieden. Mit dem Aufgehen des Hohenzollern-Staats im neugegründeten Kaiserreich endet für ihn die Geschichte des Königreichs. Konsequenterweise schließt er seine Darstellung mit dem oft bemühten Satz König Wilhelms I., der am Tag vor seiner Ausrufung zum Deutschen Kaiser durch die deutschen Fürsten in Versailles davon sprach, daß damit das preußische Königtum zu Grabe getragen werde.

Bevor es soweit ist, läßt Oster auf 341 Seiten die Geschichte der sieben Könige aus dem Haus Hohenzollern Revue passieren: von Kurfürst Friedrich III., der sich nach langwierigen Verhandlungen mit dem Kaiser in Wien 1701 in Königsberg als Friedrich I. zum König in Preußen krönt, über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm II. und natürlich Friedrich den Großen bis hin zu Friedrich Wilhelm II. bis IV. und eben Wilhelm I. Das alles geschieht mit leichter Hand, ist gut zu lesen und bleibt doch ohne Überraschungen, bis hin zum Buchumschlag mit dem unvermeintlichen Porträt des „Alten Fritz“ von Anton Graff – ergänzt um das unvermeidlich Bild von Schloß Sanssouci. Routiniert wird der Aufstieg Preußens unter Friedrich dem Großen über die Gefährdung der staatlichen Existenz durch Napoleon bis hin zur endgültigen Etablierung als Großmacht geschildert. Freilich bleibt unklar, warum der Autor diesen Aufstieg erst mit dem Erwerb der Königskrone beginnen läßt.

Oster weiß andererseits auch, daß auf Wilhelm I. noch zwei weitere Könige folgten, ehe die preußische Monarchie 1918 in der Folge des Ersten Weltkriegs zusammenbrach. Doch Wilhelm II., der seinem Vater Friedrich III. 1888 auf den Thron folgte, sei zuerst Herrscher eines national begründeten Kaiserreichs gewesen. Und in der Tat ist heute den wenigsten bewußt, daß „Kaiser Wilhelm“ neben seinen sonstigen unzähligen Titeln eben auch König von Preußen war.

Doch auch wenn Preußen wie die anderen deutschen Staaten 1871 aufhörte, ein international eigenständig agierender Staat zu sein, so war die Königswürde für Wilhelm mehr als nur ein Anhängsel. Das macht schon die von ihm in Auftrag gegebene neue preußische Königskrone deutlich, die sich noch heute im Besitz der königlichen Familie befindet und auf der Burg Hohenzollern ausgestellt wird. Noch deutlicher wird diese Haltung an den Überlegungen des Monarchen und seines Umfelds im November 1918, zwar als Kaiser, nicht aber als König abzudanken.

Dem Buch fehlt am Ende der rote Faden und der eigenständige Blickwinkel, der es aus der nicht mehr zu überblickenden Fülle von Veröffentlichungen zur facettenreichen Geschichte Preußens herausheben würde. Und so erweist sich letztlich der „Kunstgriff“ des Autors, die preußische Geschichte auf die Zeit zwischen 1701 und 1871 zu beschneiden, als Schwäche.

Denn ohne die Vorgeschichte – ohne Kenntnis etwa von der entbehrungsreichen Historie der Landstriche des späteren Königreichs – läßt sich vieles, was später unter den Königen geschah und was ihr Handeln bestimmte, nicht verstehen, läßt sich die Geschichte des Königreichs nicht überzeugend erzählen.

Oster hat sich vom Glanz der Krone blenden lassen und darüber verkannt, daß etwa der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm I. 1675 mit seinem Sieg über die in das Land eingefallenen Schweden bei Fehrbellin für die Geschichte von Brandenburg-Preußen eine größere Bedeutung hatte als Friedrich I. – auch wenn der Kurfürst keine Krone, sondern nur einen Hut trug.

Uwe Oster: Preußen. Geschichte eines Königreichs. Piper Verlag, München 2010, gebunden, 384 Seiten, Abbildungen, 22,95 Euro

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