© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Frisch gepresst

Rosa Luxemburg. In der Rezension des Werkes „Maschinenwinter“ bezeichnete der taz-Journalist Mathias Bröckers 2008 den Autor Dietmar Dath herablassend als „Lenin 2.0“. Wer nun die in der Suhrkamp-Reihe Basisbiographien erschienene Darstellung der kommunistischen Revolutionärin Rosa Luxemburg zur Hand nimmt, dürfte rasch Zweifel an der modischen Floskel 2.0 haben, die dem „Pop-Linken“ und langjährigen FAZ-Feuilletonisten angeheftet wurde. Fast wie eine Hagiographie liest sich die Lebensbeschreibung der kleinen polnisch-jüdischen Intellektuellen, die als Heiratsmigrantin 1898 ins Deutsche Reich kam und mit ihrer Geistesschärfe und rhetorischen Gewandtheit zur Cheftheoretikerin der SPD und dann der KPD wurde. Analog der Ikonisierung, die die 1919 von Rechtsradikalen ermordete Luxemburg bei der politischen Linken über die 68er bis zur alljährlichen Mumienshow in Berlin-Friedrichsfelde genießt, kommt auch bei Dath wenig Belastendes der Demokratiefeindin aufs Tapet. So bleibt die „Antimilitaristin“, die einem klassenmörderischen Krieg das Wort redete und statt der oft zitierten „Freiheit der Andersdenkenden“ beim wahren politischen Gegner „den Daumen aufs Auge und die Knie auf die Brust“ ansetzen wollte, beinahe genauso unreflektiert wie in vielen alten Druckerzeugnissen aus dem „Arbeiter- und Bauernparadies“ namens DDR (Rosa Luxemburg. Leben. Werk. Wirkung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, broschiert, 157 Seiten, 8,90 Euro).

 

Vergewaltigungen. Beinahe wäre das Tagebuch der Gabi Köpp für immer im Tresor verschwunden. Ihre Mutter und Verwandte sahen in den schriftlichen Erinnerungen der damals 15 Jahre alten Schülerin an die Zeit ihrer Kriegsflucht ein „heißes Eisen“. Als sich die Truppen der Roten Armee Westpreußen nähern, flüchtet die Autorin mit ihrer Schwester Juliane und weiteren Verwandten aus ihrem Heimatort. Durch feindlichen Beschuß von der Gruppe getrennt, gelangt Gabi nach Gornitz, wo sie mit anderen Unterschlupf bei Bauern findet. Dort beginnt die eigentliche Leidenszeit des Mädchens, das wieder und wieder von Soldaten der durchziehenden Roten Armee vergewaltigt wird. „Warum war ich bloß ein Mädchen?“ (Das Trauma einer Flucht 1945. Herbig Verlag 2010, 157 Seiten, 16,95 Euro) steht es fragend in kindlicher Sütterlinschrift im Tagebuch, dem das traumatisierte Mädchen ihre schrecklichen Bilder anvertraut. Besonders bitteren Nachgeschmack hinterläßt Köpps Bericht über die Haltung der Frauen im Haus, die in einer egoistischen Angst ihre jungen Leidensgenossinnen dem Feind ausliefern, um selbst der Gewalt zu entgehen. So erweitert die Publikation die kollektive Erinnerung an 1945 um ein eindringliches Kapitel.

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