© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Sag mir, wo die Mauer stand
Zwanzig Jahre nach Beseitigung der Berliner Mauer bietet ein Luftbildatlas Orientierung in der völlig gewandelten Hauptstadt
Matthias Bäkermann

Wie ein Magnet zieht die doppelreihige Kopfsteinpflasterung die Blicke der Berlin-Touristen an. Ab und zu ist diese unterbrochen durch eine Metallplatte, auf der der Hinweis steht „Berliner Mauer 1961–1989“. Viel mehr weist in Berlins Mitte nicht mehr hin auf den Verlauf des Bauwerks, das einst zwei Machtblöcke voneinander schied und den Charakter der Hauptstadt über Jahrzehnte dominierte. Das gilt besonders im Raum zwischen dem Reichstagsufer der Spree über das Brandenburger Tor bis zum Potsdamer Platz, wo die nach 1990 entstandene Stadtlandschaft nur schwer Rückschlüsse auf den Zustand vor 1990 zuläßt.

Mit dem aktuellen Luftbildatlas „Entlang der Berliner Mauer“ präsentieren die beiden Architekten Hans Wolfgang Hoffmann und Philipp Meuser eine großartige Orientierung über die Veränderung des Bilds der einst geteilten Stadt. Ihre phantastischen Luftbild- und Panoramafotos dokumentieren das vielfach fast narbenlose Verheilen des durch Mauer und Todesstreifen geschlagenen Stadtbilds Berlin, das seinen Zustand vor 1989 allenfalls noch in einem kurzen Abschnitt beim Mauermuseum an der Bernauer Straße abseits der gängigen Touristenpfade zeigt. Orte wie die Bornholmer Straße, die noch vor einer Generation den Schrecken der deutschen Teilung symbolisierten, vermitteln in der gegenwärtigen Form nur noch ein harmloses Großstadtbild, das selbst vielen Hauptstädtern mittlerweile kaum noch die unhaltbare Situation vor dem Herbst 1989 wachzurufen vermag. Bereits im Frühjahr 1990 begann man mit Hochdruck, die lästige Mauer samt Grenzanlagen zu beseitigen. Innerhalb kürzester Frist wandelten sich gewohnte Ansichten, angefangen an Kontrollpunkten wie dem Checkpoint Charlie in Kreuzberg oder dem unbekannteren, aber vieltausendmal mehr frequentierten Pendant Checkpoint Bravo am südlichen Transitübergang Dreilinden/Drewitz.

Ganz nebenbei erschließt das großformatige Werk auch den gewaltigen Aufbau, der das Gesicht Berlins seit Mitte der neunziger Jahre veränderte. Wie in keiner anderen europäischen Metropole entstanden völlig neue Areale in einem innerstädtischen Brachgebiet, der Pariser und der Potsdamer Platz als prominenteste Beispiele. Ergänzt und in weiten Bereichen dominiert wurde diese Umgestaltung sicher auch durch die Repräsentanzarchitektur, die sich der Bund in seiner neuen Hauptstadt genehmigte und die in der jüngeren Geschichte allenfalls noch im Niemeyerschen Projekt in Brasilia eine größere Entsprechung finden mag. Daß diese Umgestaltung noch lange nicht am Ende ist, deuten die Autoren in ihrer Fotodokumentation dort an, wo sie ihre Blicke abweichen lassen und zukünftige Vorher-Nachher-Darstellungen vermuten: zwischen Forum Fridericianum und Alexanderplatz, dem Raum der Mediaspree in Friedrichshain oder der Baustelle des Großflughafens Berlin Brandenburg International. Für alle Interessierten bietet der Luftbildatlas somit ein unverzichtbares Rüstzeug, um in einer der spannendsten Städte der Welt die Übersicht zu behalten.

Hans Wolfgang Hoffmann, Philipp Meuser: Luftbildatlas. Entlang der Berliner Mauer. DOM Publishers, Berlin 2009, gebunden, 192 Seiten mit CD-Rom, Abbildungen, 48 Euro

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