© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Frisch gepresst

Land und Leute. Der „Vater der Volkskunde“, Wilhelm Heinrich Riehl (1823–1897), zählt zu den vergessenen Gesellschaftstheoretikern des 19. Jahrhunderts. Seine, im wahrsten Sinne, Feldstudien über „Land und Leute“, 1854 erstmals erschienen, brachten es bis 1899 auf zehn Auflagen und trugen dem Journalisten zunächst eine Sinekure als kulturpolitischer Berater des bayerischen Königs Maximilian II. und schließlich eine Professur an der Münchner Universität ein. Die dezidiert sozialkonservative Position Riehls hätte allein schon genügt, um seiner Rezeption im 20. Jahrhundert ein Ziel zu setzen. Überdies stand er auch mit seiner interdisziplinären Konzeption der Volkskunde als Integrationsdisziplin für die Staats- und Gesellschaftswissenschaften rasch am Rande der zum Spezialismus drängenden Entwicklung. Schließlich kam noch sein tiefes Mißtrauen gegen den omnipotenten Staat hinzu, die ihn selbst jenseits des „Polizeistaates“, zu Zeiten des „gütigen Wohlfahrtsstaates“, wie einen naiven Romantiker aussehen ließ. Daß Riehls „Land und Leute“ aber bei der grassierenden Skepsis gegenüber der Rationalität des hergebrachten Etatismus einen „lehrreichen Kontrast“ offeriert, wie der Herausgeber Hans Jörg Hennecke einer soliden und ansprechend gestalteten Neuausgabe meint, kann füglich nicht bezweifelt werden (Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, Waltrop/Leipzig 2010, gebunden, 404 Seiten, 24,80 Euro).

 

Tibet im Blick. Das Thema „Das Dritte Reich und Tibet“ (Die Heimat des ‘östlichen Hakenkreuzes’ im Blickfeld der Nationalsozialisten. Ludwigsfelder Verlagshaus, Ludwigsfelde 2010, broschiert, 962 Seiten, 49,80 Euro) klingt beim ersten Hinhören, höflich formuliert, reichlich exotisch und verdächtig nach „Doktorarbeit“. In letzterem täuscht man sich nicht. Tatsächlich hat Wolfgang Kaufmann, nach gut zehnjähriger Fron, seinen Zweipfünder bei Peter Brandt an der Fernuniversität Hagen als Dissertation eingereicht und dafür ein wohlverdientes „summa cum laude“ eingeheimst. Was den Verdacht der Marginalität angeht, wird der Leser indes angenehm enttäuscht. Das „Dach der Welt“ liegt zwar weit weg, doch der Autor versteht, über diesen kleinen Umweg uns mitten hinein in zentrale Regionen der deutschen Ideologien- und Ideengeschichte zu führen. Das schließt natürlich Sektiererisches und Bizarres zuhauf ein, reicht vom Neu-Buddhismus der Jahrhundertwende bis zu den verwegenen Spekulationen, die Heinrich Himmlers „Ahnenerbe“-Stiftung ausschwitzte. Manchmal tut Kaufmann hier zuviel des Guten, so wenn er sich in einem ausufernden, 100seitigen Überblick zur Rezeptionsgeschichte der ideologischen „Tibet“-Projektionen bis zu Spinnern wie dem pseudonymen Jan van Helsing herabbeugt.

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