© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Kolumne
Die verlängerten Arme Ankaras
Rolf Stolz

Wen soll man wählen? Das ist so schwer zu beantworten wie die Frage, ob den Selbstmordattentäter im Paradies Jungfrauen erwarten oder weiße Trauben. Dafür ist leicht feststellbar, wen man nicht wählen kann. Unwählbar, es sei denn man sei zum Türkentum konvertiert, sind Canan Bayram, Grüne im Berliner Abgeordnetenhaus, die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete der Linken Sirvan Cakici, der Ex-SPD-Europaabgeordnete und Reiseunternehmer Vural Öger. Warum? Nun, Recep Tayyip Erdoğan, „unser Premierminister“, wie es in der Einladung hieß, lud sie ebenso wie zweitausend türkischstämmige Politiker Anfang März nach Istanbul ein, Reisekosten und Fünf-Sterne-Hotel inklusive.

Bayram, Cakici, Öger & Co. lauschten als „meine verehrten Abgeordneten“ der üblichen Leier: Assimilation und Islamophobie seien Verbrechen gegen die Menschheit, das Verweigern der doppelten Staatsbürgerschaft nicht akzeptabel. „Wir müssen die europäische Kultur mit der türkischen impfen,“ hieß es. Yeneroğlu, Vize-Generalsekretär von Milli Görüs, salbaderte über kulturelle Vielfalt als Bereicherungsfaktor. Erdoğan, für die weitere Unterdrückung der Kurden, Armenier, Griechen und Aramäer verantwortlich, tönte: „Keiner ist berechtigt, den Menschen ihre Grundrechte zu nehmen.“ Keiner – außer ihm.

Im Sinne der Idee einer Großtürkei vom Balkan bis Sinkiang nahmen an dem Treffen neben dem Minister der aserbaidschanischen Diaspora der Minister für Infrastruktur von Kosovo, je ein Staatsminister Mazedoniens und Serbiens sowie der Außenminister Nordzyperns teil. Ein „Präsidium für Auslandstürken“ für die fünf Millionen Auslandstürken soll demnächst die Einflußnahme stramm ausrichten.

Wählt jemand die Linke oder die Grünen in Hoffnung auf ein Wunder, sind prinzipiell wählbar die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen und die Grünen Ekin Deligöz, Memet Kilic und Özcan Mutlu. Sie lehnten es ab, als „verlängerter Arm der türkischen Regierung“ (Mutlu) in Istanbul anzutanzen. In der Tat hat, wer sich selbst als Ankaras Lobbyist definiert,  in einem deutschen Parlament nichts zu suchen. Wer in Deutschland lebt und sich als Türke sieht, der sollte die türkische Staatsangehörigkeit haben und keine sonst. Mit je einer halben Hinterbacke auf dem deutschen und dem türkischen Stuhl zu sitzen – das mißlingt auf die Dauer auch dem schlitzohrigsten Erdoğan-Jünger.

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

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