© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Siegfried Gerlich hat ein bemerkenswertes Buch über Ernst Nolte verfaßt
Der Konzert-Publizist
Thorsten Hinz

Siegfried Gerlichs Buch „Ernst Nolte. Portrait eines Geschichtsdenkers“ (siehe Rezension Seite 15) wird schwer zu überbieten sein. Es eröffnet den bislang klügsten Zugang zum Werk des großen Historikers. Gerlich analysiert und widerlegt die Unterstellungen und Verdächtigungen, die den Blick auf Nolte verstellen – was auf seine eigene geistige Unabhängigkeit verweist und Grund genug ist, daß es nur außerhalb des bundesdeutschen Wissenschafts- und Förderbetriebs entstehen konnte. Die Ignoranz setzt sich fort in der Mißachtung des Buches etwa durch die FAZ, was – wie man hört – nicht an dessen Qualität liegt. Wer ist dieser Autor, der eine Herkules-Arbeit, die fürs erste wenig Dank, Anerkennung und Umsatz verspricht, auf sich genommen hat?

Siegfried Gerlich wurde 1967 in Oberschlesien geboren. Ende 1968 kam er mit der Familie als Spätaussiedler nach Hamburg, wo er aufwuchs und das katholische Gymnasium absolvierte. Danach hat er Philosophie und Musikwissenschaft studiert und mit einer Magisterarbeit über „Richard Wagner und die deutsche Frage“ abgeschlossen. In seinem geistigen Kosmos führen Benn und Nietzsche, Adorno und Lukacs, Freud und Bataille eine spannungsreiche, aber friedliche Koexistenz. Sein Denken war ursprünglich, wie sich das für einen Studenten gehörte, durch Adorno bestimmt.

Auf Ernst Nolte, der im Universitätsbetrieb als Gottseibeiuns gehandelt wurde, stieß er aus Neugierde und Lust am Widerspruch. Aus der Neugierde wurde Interesse, aus Interesse erwuchs eine immer intensivere Beschäftigung und aus dieser eine Sympathie, die nicht politisch, sondern geistig grundiert ist und sich auch in seinen Büchern mitteilt. 2005 veröffentlichte er in der Edition Antaios einen Gesprächsband mit Nolte (JF 25/05), der inzwischen auch ins Französische und Italienische übersetzt wurde.

Sein aktuelles Buch ist die Frucht über zweijähriger Arbeit, die immer wieder unterbrochen werden mußte. Frühere Veröffentlichungen behandeln Themen an der Schnittstelle von Philosophie und Psychoanalyse. Künftig will er verstärkt mit der konservativen Kulturzeitschrift Sezession zusammenarbeiten.

In seiner Studentenzeit verdiente sich Gerlich seinen Lebensunterhalt als freier Konzertpianist. Das ist bis heute so geblieben. Die Liste der Künstler, deren Bühnenauftritte er musikalisch begleitet und für die er Arrangements anfertigt, enthält die Creme de la Creme der weiblichen Schauspieler-Prominenz in Deutschland. Der Erstberuf sichert ihm im Zweitberuf als Publizist den Freiraum, zu schreiben, was er für richtig und notwendig hält. Er wirkte auch an Theaterinszenierungen mit. 1994 hospitierte er in Bayreuth bei der „Tristan“-Inszenierung Heiner Müllers. Die doppelt freie Existenz, die Marx als Argument gegen die kapitalistische Produktionsweise anführte: Bei Gerlich hat sie einen guten Beigeschmack. Das wirklich Interessante – dafür ist er ein Beispiel – entsteht nun mal am Rande.

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