© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Abstieg eines Nachwuchsstars
Bundeswehr: Vor dem Untersuchungsausschuß zur Aufklärung des Luftangriffs in Kundus gerät Verteidigungsminister Guttenberg immer stärker in Bedrängnis
Paul Rosen

Wer auch immer die Absicht gehabt haben sollte, dem CSU-Nachwuchsstar Karl-Theodor zu Guttenberg mit der Versetzung ins Verteidigungsministerium Schaden zuzufügen, hat sein Ziel erreicht. Guttenberg verstrickt sich im Zusammenhang mit dem Bombenangriff in Kundus immer stärker in Widersprüche. Parallel dazu geht es mit der Bundeswehr weiter bergab.

Aber der Zustand der Truppe ist weniger interessant als die Jagd auf den Baron aus Bayern, für die sich in Berlin eigens ein Untersuchungsausschuß des Bundestags etabliert hat. Appelle, daß Journaille und Politiker von ihrer Jagd lassen und sich den eigentlichen Problemen zuwenden sollen, verhallen  ungehört. Der frühere Generalinspekteur Harald Kujat machte dies im Deutschlandradio deutlich. Der Fall Kundus zeige den Mangel an einem Führungsinformationssystem, das alle Ebenen in Echtzeit unterrichte. „Hinzu kommt natürlich, daß ja gerade dieser Kundus-Fall die gravierenden Defizite in der Ausrüstung der Bundeswehr offengelegt hat.“ Es wäre die Verantwortung des Ausschusses, sich auch darum zu kümmern. Das wird natürlich nicht geschehen. Die Ausrüstungsmängel der Bundeswehr sind so alt wie die Umstrukturierung zur Einsatzarmee. Wer in alle Welt ausrücken will, braucht moderne Flugzeuge, Schiffe, Fahrzeuge und Informationssysteme. All das ist in der Bundeswehr Mangelware.

Das Geld wird seit Jahrzehnten in Prestigeprojekte gesteckt: Dazu gehören der Eurofighter, der kaum einsatzfähig ist, Hubschrauber, die für ihre Aufgaben nicht geeignet sind, ein Transportflugzeug, das über den Jungfernflug nicht hinauskommen wird, und ein Schützenpanzer, der Jahre zu spät kommt.

Aufnahmerituale wichtiger als die Ausrüstung

Bei der Marine stehen fast alle Hubschrauber still, die Seefernaufklärung hat technische Probleme. Dies ist nur ein kleiner Auszug einer beliebig verlängerbaren Liste.

Der scheidende Wehrbeauftragte Reinhold Robbe warf in seinem letzten Jahresbericht dem Inspekteur des Sanitätsdienstes „ein klares Versagen” vor. Generaloberstabsarzt Kurt-Bernhard Nakath habe den Sanitätsdienst „regelrecht an die Wand gefahren”, kritisierte Robbe. Es fehlten 600 Ärzte. Die Probleme im Sanitätsdienst sind seit Jahren bekannt, und es ist kaum anzunehmen, daß Robbe nichts davon wußte. Aber seine früheren Berichte verniedlichten teilweise die Lage.

In der Öffentlichkeit wird aber lieber mit entsetzter Tonlage diskutiert, daß Rekruten bei den Gebirgsjägern bei einem Aufnahmeritual rohe Leber essen oder große Mengen Bier trinken mußten. Daß dieselben Gebirgsjäger, wenn sie nach Afghanistan gehen, von den eigenen Truppen mangels Fluggerät und geeigneter Fahrzeuge nicht gerettet werden können, wenn sie von Taliban eingekesselt werden sollten, interessiert weder Öffentlichkeit noch Politik. Der Bundestag setzt in Kenntnis der Einsatzmängel sogar die Zahl der nach Afghanistan zu entsendenden Soldaten mit schöner Regelmäßigkeit nach oben.

Thema in der Öffentlichkeit ist jedoch etwa die Frage, ob Guttenberg den Brigadegeneral Henning Hars zu Recht aus dem Dienst entfernt hat oder nicht. Hars soll, wie der Spiegel jetzt berichtet, die Entlassung von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und von Staatssekretär Peter Wichert wegen angeblicher Informationspannen im Fall Kundus kritisiert und Guttenberg sogar indirekt den Rücktritt nahegelegt haben. Wenn die Darstellung so zutrifft, dann hat Guttenberg richtig gehandelt.

Schneiderhan war ein Blender

Nur helfen wird es ihm nicht viel. Die Fehler sind früher gemacht worden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was Kujat auf die Frage sagte, ob Guttenbergs Vorgänger Franz Josef Jung ein schwacher Minister gewesen sei: „Das wird gesagt, und vieles deutet darauf hin, daß es so war.”

Jungs Fehler bestand darin, den nach Ende der Kohl-Regierung von Rot-Grün pensionierten Staatssekretär Wichert zu reaktivieren und Schneiderhan nicht schon damals rauszuwerfen. Wichert lebte in einer längst vergangenen Zeit und handelte auch so. Schneiderhan wurde nicht nur einmal vorgeworfen, über die Bande mit der SPD gespielt zu haben und Politik im eigenen Interesse notfalls gegen den Minister zu betreiben. Der Generalinspekteur war ein exzellenter Blender und schaffte es, nicht nur Jung, sondern auch Guttenberg über den wahren, von ihm zu verantwortenden Zustand der Bundeswehr zu täuschen.

Guttenberg („Ich bin ganz entspannt“) versucht der für ihn bedrohlichen Kundus-Affäre durch Ablenkungsmanöver die Schärfe zu nehmen. So will er die Verkürzung des Wehrdienstes von neun auf sechs Monate vorziehen. In der Praxis spielt das ohnehin  keine Rolle mehr. Schon die heutige Wehrdienstzeit ist für eine gute Ausbildung zum Soldaten zu kurz. Eingezogen wird bereits heute nur, wer auch tatsächlich zum „Bund” will. Im Ergebnis führt dies – nicht nur in Deutschland, sondern ganz Europa – zu Söldnerarmeen aus Männern mit russischem und anderem Migrationshintergrund. Da fällt der Blick auf das alte Rom, das aus Mangel an eigenen Soldaten seine Verteidigung erst in die Hände von Germanen legte und dann von ihnen überrannt wurde.

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