© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Die Grenze des Menschseins
Volker Gerhardts Fankurve
Fritz Keilbar

Im Juli 2009 ist mit Volker Gerhardt einer der wenigen auch außerhalb der Universität bekannten Gegenwartsphilosophen emeritiert worden. Gerhardt war nach Lehraufträgen in Münster, Köln, Zürich und Halle 1992 einem Ruf an die Humboldt-Universität Berlin gefolgt und entfaltete dort eine rege Publikationstätigkeit.

Immer wieder äußerte er sich in Tageszeitungen und Zeitschriften zu aktuellen Fragen, was insbesondere im Bereich der Biopolitik zu einigen Kontroversen führte. Daß Gerhardt auch im akademischen Bereich hohes Ansehen genießt, wird durch die Tatsache unterstrichen, daß ihm aus Anlaß seines 65. Geburtstags gleich zwei Festschriften zugedacht wurden. Eine davon haben ihm 54 jüngere Schüler gewidmet, die bei ihm promoviert haben oder es gerade tun. Einen „Namen“ hat noch keiner von ihnen. Sie versuchen in knappen Beiträgen (zwischen zwei und sechs Seiten) die Frage „Was ist Leben?“ zu ergründen.

Teilweise beziehen sich die Antworten und Präzisierungen der Fragestellung auf Veröffentlichungen Gerhardts, der nach langen Jahren der Beschäftigung mit Platon, Kant und Nietzsche zu einer eigenen philosophischen, nicht lediglich philosophiehistorischen, Auffassung gefunden hat. Der Mensch als selbstbestimmtes Individuum und politisches Wesen steht dabei im Mittelpunkt seines Denkens. Hier suchen einige Aufsätze direkten oder indirekten Anschluß.

Einige Beiträger haben auch versucht, Gerhardts Überzeugung umzusetzen, daß Leben zuerst immer Selbsterfahrung bedeutet, indem sie die gestellte Frage ganz alltagspraktisch verstehen und sie von sich selbst ausgehend mit möglichst geringem geistesgeschichtlichen Gepäck beantworten wollen. Daß nicht jeder Beitrag gelungen ist, liegt in der Natur der Sache. Es ist hin und wieder traurig zu sehen, wie mutlos schon junge Philosophen ihrer Gegenwart gegenüberstehen, wenn sie die Titelfrage nur historisch, wenn nicht gar antiquarisch begreifen.

Dennoch macht die Vielzahl an Texten das Buch schon an sich interessant. Denn wo hat man schon einmal Gelegenheit, etwas von der Gedankenwelt philosophisch geschulter junger Menschen auf so engem Raum zu erfahren? Es spricht für Gerhardts Auffassung seiner Lehrtätigkeit, daß sich diese jungen Leute berufen fühlten, sich an dieser Festgabe zu beteiligen. Schon dadurch hebt sie sich wohltuend von den üblichen professoralen Festschriften ab.

Simon Springmann, Asmus Trautsch, Hrsg.: Was ist Leben? Festgabe für Volker Gerhardt zum 65. Geburtstag. Duncker & Humblot, Berlin 2009, broschiert, 292 Seiten, 78 Euro

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