© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Kulturschöpfer
Karl Heinzen

Das Landgericht Hamburg hat in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil vergangene Woche festgehalten, daß der Rapper Bushido ausgiebig Plagiat betrieben hat. In insgesamt 13 seiner Lieder seien Songfragmente der französischen Gothic-Band Dark Sanctuary eingeflossen, ohne daß sie oder ihre Plattenfirma zuvor um Erlaubnis gebeten wurden. Elf Alben, Singles oder Sampler dürfen nun nicht weiter verkauft werden, bereits in den Handel ausgelieferte Tonträger sind zurückzurufen und zu vernichten.  

Darüber hinaus wurde Bushido verurteilt, 63.000 Euro zur Abgeltung des „immateriellen“ Schadens zu zahlen. Dieser sei insbesondere dadurch entstanden, daß er bisweilen recht unappetitliche Texte über die eigenmächtig übernommenen Tonfolgen gelegt hat, mit denen sich die Rechteinhaber der Musik nicht identifizieren können. Eine Bezifferung des „materiellen“ Schadens steht noch aus, hierzu müssen erst die Einnahmen ermittelt werden, die Bushido durch das Plagiat erzielt hat.

Sollte das Urteil Bestand haben, wäre damit einmal mehr unter Beweis gestellt, wie wenig das geltende Urheberrecht der gelebten Wirklichkeit der digitalen Medienwelt von heute entspricht. In einer Zeit, in der jedermann nahezu unbeschränkten Zugriff auf Texte, Bilder und Klänge in Hülle und Fülle hat, kann es nicht ausbleiben, daß man sich dieses Materials bedient, um daraus Neues zu erschaffen.

Helene Hegemanns Roman-Bestseller „Axolotl Roadkill“ zeigte, wie auf diese Weise mitunter sogar Werke entstehen, die ihre Quellen an Rang und Qualität weit überragen. Auch Goethe hat das Faust-Motiv nicht selbst erfunden, und die Geschichte von Literatur, Kunst und Musik ist voll von Beispielen für Bedeutendes, das durch Übernahme und Variation von bereits Vorhandenem möglich wurde. Unsere Kultur gerät in Gefahr, schöpferische Impulse zu ersticken, wenn sie aus im Dienste materieller Interessen stehendem juristischen Kleingeist die Künste in die Fesseln des Urheberrechts legt.

Vielmehr sind gerade jene, die andere des Plagiats an ihren Werken bezichtigen, an den Pranger zu stellen. In der Regel treibt sie bloß der Neid, daß sie selbst mit ihrer vermeintlichen Leistung nicht in einer Weise wie jene reüssieren konnten, an die sie nun ihre Forderungen nach einer Erfolgsbeteiligung richten. Ginge es ihnen wirklich um die Kunst, würden sie keine Vorwürfe erheben, sondern statt dessen ihre Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß anderen das gelungen ist, was ihnen versagt blieb, nämlich breitere Kreise zu beseelen.

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