© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

Ein Augenzeuge der Laconia-Katastrophe
Gunter Spraul hat die Aufzeichnungen seines Onkels, des U-Boot-Offiziers Leopold Schumacher, aus dem Zweiten Weltkrieg in einem Großwerk aufbereitet
Herdis Helgenberger

Die blaugetönten Buchdeckel schließen die Arbeit von Jahrzehnten ein: Jahre des Sichten und Sammelns, des Lesens und Gegenlesens, von denen der gewichtige Band zeugt. In ihm konserviert der beinahe minutiös dokumentierte Ausschnitt eines einzelnen Menschenlebens, das exemplarisch für Millionen anderer Deutscher steht, die ihren von jugendlicher Zuversicht genährten Idealismus einem verbrecherischen System überantworteten; im treuen Glauben an die gute Sache, endend in einem vernichtenden Krieg.

Der Marineoffizier Leopold Schumacher (1917–1943) ist der Protagonist in dieser ungewöhnlichen Biographie von Gunter Spraul, die seinem verschollenen Onkel ein eindrucksvolles Denkmal setzt. Auf 334 Briefe und Postkarten, zehn Taschenkalender mit Tagebuchnotizen, zwei Logbücher, die während der Ausbildung bei der Kriegsmarine geführt wurden, sowie 38 Filme mit knapp tausend Bildern summiert sich der Nachlaß des jungen Offiziers, den Spraul, geordnet nach Jahren von 1935 bis 1943, zu einem einzigartigen Zeitzeugendokument verknüpft hat, das aufgrund der umfassenden Sachkenntnis in den Kommentaren und der editorischen Sorgfalt höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.

Die lückenlos dokumentierte Zeitspanne, in der Schumacher die Karriere bis zum Oberleutnant zur See durchläuft, spiegelt im Persönlichen die Ausläufer jener geistig-kulturellen Tradition unbedingter Verpflichtung ans Vaterland, die sich auch deshalb so tief im tätigen Sein einer jungen Generation einprägen mußte, weil sie in der allgegenwärtigen Erinnerung an einen verlorenen Ersten Weltkrieg aufwuchs. Die in Versailles festgesetzten Friedensbedingungen empfanden ihre Eltern als Schande. Wirtschaftliche Krisen, Inflation und Arbeitslosigkeit verschärften die Situation für Schulabgänger in den dreißiger Jahren, in denen der junge Leopold eine Berufslaufbahn einschlagen wollte. „Die Jugend sehnte sich nach einer stabilen Ordnung“ und war in der ökonomisch wie politisch schwierigen Phase der Zwischenkriegszeit um so anfälliger für die Hoffnung, die sie angesichts der zur Rettung dargebotenen Hand des „Führers“ fühlte.

Die romantische, grundsätzlich apolitische Ausrichtung der deutschen Jugendbünde machte es in ihrer weltabgewandten Haltung der nationalsozialistischen Bewegung leicht, diese für ihre Sache zu vereinnahmen und sie ihrem Apparat einzuverleiben. Eine große Zahl der Jugendverbände, unter ihnen der Deutsche Kolonial-Pfadfinderbund, dem Leopold als 15jähriger beigetreten war, wurden 1933 von der Hitlerjugend (HJ) übernommen oder aufgelöst.

Ein Jahr später war der sportlich begabte Gymnasiast aus Offenburg zum Führer eines Zugs des Deutschen Jungvolks (DJ) aufgestiegen, Leopolds erster Karriereerfolg im Dritten Reich, dem weitere folgen. Die Gründe für sein rasches Vorankommen innerhalb der streng hierarchisch organisierten Strukturen des NS-Regimes in einer opportunistischen und deshalb politisch fragwürdigen Gesinnungshaltung zu suchen, hieße, dem Menschen Leopold Schuhmacher nicht gerecht zu werden. 1935 wird er wegen Ungehorsams aus der HJ ausgeschlossen, was allerdings ohne Einfluß auf seine Bewerbung bei der Marine bleibt, die er zwei Jahre später in Kiel einreicht.

Wie sich in der Persönlichkeitsschau späterer Jahre ergeben wird, verdankt der Sohn eines mittleren Beamten den Aufstieg nicht seinem Kampfgeist als ideologisch verblendeter Mitläufer, sondern dem unbedingten Leistungswillen eines Menschen, für den Loyalität und Pflichterfüllung Richtungspunkte seines geistigen Kompasses sind. Aus dem umfangreichen Konvolut an Notizen und Briefen des Marineoffiziers läßt sich keine klare Einschätzung destillieren, wie Schuhmacher die finsteren Vorgänge an Land, Reichkristallnacht und Judenverfolgung, bewertet.

Am 12. September 1942 notiert der II. Wachoffizier unter Korvettenkapitän Werner Hartenstein: „Wir jagen die Laconia. Nur zweckmäßige Roheit ist das Gesetz zur See. Es schreit.“ Nur wenige Stunden später versenkt die U-156 den bewaffneten englischen Passagierdampfer im Südatlantik, an Bord etwa dreitausend Menschen. Trotz der Unerbittlichkeit im U-Bootkrieg leiten die Deutschen sofortige Rettungsmaßnahmen zur Bergung der in Seenot geratenen Passagiere ein. Andere U-Boote werden herbeigerufen. Die rücksichtslose Bombardierung dieser Rettungsaktion durch alliierte Verbände stellte eine eskalierende Wende im Seekrieg dar. Fortan wurden deutsche U-Boote angewiesen, zum Eigenschutz auf Seenotrettung zu verzichten. Daß wir heute eine bildliche Vorstellung von dem Unglück haben, das in einer Gemeinschaftsproduktion von ARD und BBC mit Ken Duken, Franka Potente und Jan Josef Liefers verfilmt wurde und als Zweiteiler für Ende 2010 angekündigt ist, verdanken wir der Geistesgegenwart des Hobbyfotografen Schuhmacher. Dieser Zeuge des Kriegsdramas fand sein Seemannsgrab nur wenige Monate später auf der fünften Feindfahrt von U 156 auf der Position 12° 38‘ N, 54° 39‘ W östlich von Barbados nach Bombardierung eines Flugbootes der US-Marine.

Gunter Spraul: Vom Fähnlein zur Fahne in den Tod. Tagebücher und Aufzeichnungen des Leopold Schuhmacher, Oberleutnant zur See. Projekte-Verlag, Halle 2008, gebunden, 795 Seiten, Abbildungen, 75 Euro

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