© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Kolumne
Babylonischer Schuldenturm
Klaus Hornung

Das Statistische Bundesamt hat den Stand der deutschen öffentlichen Schulden zum 31. Dezember 2009 mit 1.692 Milliarden Euro beziffert. Aufschlußreich ist der Blick auf die Entstehung dieses in Friedenszeiten einmaligen Schuldenturms. Die Bundesrepublik Deutschland hatte 1950, also kurz nach ihrer Gründung, zehn Milliarden und noch 1970 „nur“ 63 Milliarden Euro Schulden.

Dann aber begann der Galopp in den Schuldenstaat. 1980, also nach dem Jahrzehnt der sozialliberalen Regierung, betrugen die öffentlichen Schulden bereits 239 Milliarden, um sich bis 1990 trotz des Wechsels zur schwarz-gelben Regierung auf 598 Milliarden mehr als zu verdoppeln. Unter den Wirkungen der Finanzierung der deutschen Einheit verdoppelten sie sich bis zum Jahr 2000 erneut auf 1.211 Milliarden Euro. Und allein im Krisenjahr 2009 stiegen die Schulden des Bundes durch die Maßnahmen zur Bankenrettung und zur Konjunkturstützung sowie durch den Rückgang der Steuereinnahmen auf die aktuelle Rekordmarke.

Der Rückblick auf den Schuldenanstieg macht deutlich, daß man nach dem Ende der Regierung Erhard (1966) weder in Bonn noch in Berlin eine Ahnung davon hatte, was öffentliche Sparsamkeit ist. Mit dem Beginn der sozial-liberalen Koalition 1969 uferte der Wohlfahrts- und Versorgungsstaat zu einem „Staat des Tischlein deck dich!“ (Heinrich Lübke) aus, und die Regierenden taten alles, um ihrem Volk immer größere Schlucke aus der Pulle zu spendieren. Über Jahrzehnte zogen die jeweiligen Bundesregierungen die Spendierhosen an: für die DDR, für Osteuropa, für EU und die Vereinten Nationen. Die Entwicklungshilfe wurde zu einem Faß ohne Boden. Der Wiederaufbau der einstigen DDR schlug gewaltig zu Buche, bei der Treuhandgesellschaft versickerten Milliarden. Der globale Crash tat schließlich das Übrige.

Der Eindruck drängt sich auf, daß in der historischen Langzeitperspektive der Aufbau dieses schrecklichen Schuldenberges zur eigentlichen Bilanz der Bundesrepublik werden könnte. Nach sechzig Jahren scheint es hoch an der Zeit zu sein für eine politische und auch personelle Erneuerung unseres Gemeinwesens. Ihre erste Voraussetzung wäre freilich die Fähigkeit unserer Funktionseliten in Politik, Medien, Ökonomie und auch der Wissenschaft, aus dem Klein-klein des Tages und des Marktes herauszutreten und wieder langfristig und damit historisch denken zu können.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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