© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Trucksystem
Karl Heinzen

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Regelsätzen steht die schwarz-gelbe Regierungskoalition nun vor der Aufgabe, die staatlichen Leistungen zur Sicherstellung des Existenzminimums von Heranwachsenden bis Ende dieses Jahres auf eine transparente und wirklichkeitsgerechte Berechnungsgrundlage zu stellen. Die Federführung hierfür liegt bei Ursula von der Leyen als Ministerin für Arbeit und Soziales, die als vormalige Leiterin des Familienressorts und Mutter von sieben, mutmaßlich nicht von gesellschaftlicher Deklassierung bedrohten Kindern auf reichhaltige Erfahrung im Umgang mit dieser Randgruppe zurückgreifen kann.

Außer Frage steht, daß die Auflagen der Karlsruher Richter den Staat etwas kosten werden. Allerdings heißt dies nicht, so betont Ursula von der Leyen in einem Interview mit Spiegel online, daß Familien automatisch mehr Bargeld erhielten. Es gehe vielmehr um Teilhabe der Kinder am Leben, um Bildung und Chancengleichheit. Wie es sich für eine Kulturnation gehört, wird der Begriff des Existenzminimums somit nicht auf triviale Bedürfnisse wie Ernährung, Bekleidung und Behausung beschränkt. Ursula von der Leyen will den Blick dabei aber nicht auf die viel beschworenen „Bildungsgutscheine“ verengen, die den Start in ein erfolgreiches Leben als Arbeitnehmer und Steuerzahler garantieren sollen. Vergleichbares sei vielmehr vielleicht auch für Bibliotheken, Sportvereine und Musikschulen zu bedenken.

Da Eltern, die ihren Kindern nicht mehr als ein Leben zu den Bedingungen von Hartz IV zu bieten verstehen, für derlei in der Regel nur wenig Verständnis aufbringen, ist es unerläßlich, daß der Staat fürsorglich eingreift. Das Instrumentarium, dessen er sich hier den Vorstellungen der Ministerin zufolge bedienen könnte, ist nicht neu. Zu Beginn des Industriezeitalters wurden Beschäftigte häufig mit Gutscheinen für Güter des täglichen Bedarfs entlohnt, die sie bei ihren Arbeitgebern einlösen durften. Allerdings wurde dieses sogenannte „Trucksystem“ in Preußen bereits 1849 abgeschafft.

Die Lage ist aber heute, so die Analyse von Ursula von der Leyen, so ernst, daß jedes Mittel erlaubt ist, um junge Menschen für ihre Pflichten von morgen fit zu machen: „Schauen Sie sich an, wie klein die Generation ist, die in 30 Jahren unser Land tragen muß, wenn wir alt sind. Dann ahnen Sie, was diese Kinder später schultern müssen. Wir müssen ihnen die Chance geben, das auch leisten zu können, und ihre Talente nicht verkümmern lassen.“ Die Maximen des neuen Generationenvertrages sind damit benannt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen