© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Packen wir’s an
Graswurzelrevolution: Amerikas Tea-Party-Bewegung sollte Vorbild für Deutschland sein
Michael Paulwitz

Frage dich, was du für dein Land tun kannst. Millionen Amerikaner tun das in diesen Wochen und geben eine praktische Antwort: Sie opfern ihre Zeit, ihren Fleiß und ihr Geld und engagieren sich in der „Tea Party“-Bewegung, um sich der steuer- und schuldengetriebenen Ausplünderung und der schleichenden politischen Entmündigung durch „die da oben“, in diesem Fall: durch die linksgewirkte Regierung von Barack Obama zu widersetzen.

Statt „Yes, we can“ heißt es in den USA jetzt: „Wir können auch anders.“ Unter der Losung „TEA“ wie „Taxed Enough Already“ – es reicht mit der Besteuerung – organisiert die freiheitlich-konservative Graswurzelrevolution der „Tea Parties“ größte Kundgebungen und treibt das selbstgefällige Establishment beider großer Parteien vor sich her.

Für deutsche Ohren klingt das wie ein Märchen aus der Neuen Welt. Das Maß an staatlicher Einmischung und Entmündigung, das die Amerikaner auf die Straße treibt, haben unsere unterschiedlich lackierten Sozialisten und Sozialdemokraten von Schwarz bis Grün schließlich schon lange überschritten. Billionenschulden und die Vergeudung von Abermilliarden für die vermeintliche „Rettung“ von Banken oder gleich von ganzen Euro-Pleiteländern erleben wir gerade auch. Und die Kastrierung des Volks als Souverän sowie die Aushöhlung und Enteignung demokratischer Institutionen durch stillschweigende Kumpanei von politischer Klasse und Eurokratie ist seit langem in vollem Gange.

Warum also gibt es keine deutsche „Tea Party“ der ausgepreßten Steuersklaven aus der stetig schrumpfenden Mittelschicht, die nach dem Willen der Klientelparteien der Sozialindustrie die Wohlfahrtsstaats- und Umverteilungssause bis zum bitteren Ende weiterfinanzieren sollen? Warum ist Euroskepsis, das Pendant zum tiefwurzelnden Mißtrauen der US-Amerikaner gegenüber der Zentralgewalt, hier ein Randparteienphänomen ohne Massenwirkung? Warum verhallt der Ruf „Bürger auf die Barrikaden“ ungehört und unerwidert?

Natürlich, die Verhältnisse jenseits des Atlantiks sind anders. Das Mißtrauen gegenüber jeder Staatsgewalt, die zu mächtig wird, die Überzeugung, daß eine gute Regierung nur diejenige ist, die sich vor dem Zorn der eigenen Bürger fürchtet und diese deshalb ernst nimmt, ist für die meisten US-Amerikaner nach wie vor eine selbstverständliche Gewißheit. Zudem ist die US-Medienlandschaft alles in allem freier und pluralistischer als die deutsche; letzte Instanz für den Erfolg ist die Zustimmung des Publikums und nicht die verinnerlichte Schere im Kopf. Medienblockaden funktionieren deshalb nicht so leicht.

Gleichwohl kann die „Tea Party“-Bewegung auch für Deutsche und Europäer zum Vorbild freiheitlich-demokratischer Erneuerung von unten werden: Sie hat das richtige Thema zur richtigen Zeit, und sie ist im besten Sinne bürgerlich und republikanisch.

Bürgertum ist eine europäische Errungenschaft. Bürger ist, wer den Zusammenhang von persönlicher, wirtschaftlicher und politischer Freiheit kennt und sich für das Ganze verantwortlich fühlt und nicht nur für das eigene Wohlergehen. Die Republik, die res publica, das Gemeinwesen geht alle an.

Wer unzufrieden damit ist, wie Politiker die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen, darf sich nicht aufs Schimpfen beschränken, er muß selbst etwas tun. Dazu muß er nicht erst die Ochsentour durch einen Parteiapparat machen: Es steht dem Bürger frei, sich mit anderen zusammenzuschließen, um Politikern, die ihre Legitimation und ihren Auftrag vergessen haben, Beine zu machen und ihre Ablösung zu erzwingen.

Das Aufbegehren der staatstragenden Steuerzahler kann die politische Landschaft revolutionieren – nicht nur in Amerika. Man muß nicht so weit in die Geschichte zurückgreifen wie der amerikanische Libertäre Donald Meinshausen, der eine Traditionslinie deutscher Steueraufstände über die Bauernkriege und den „Armen Konrad“ bis zu Hermann dem Cherusker zieht. Es reicht, auf die Dänische Volkspartei und die norwegische Fortschrittspartei zu verweisen, die als Steuerprotestparteien begonnen und die Parlamente ihrer Länder so umgekrempelt haben, daß an ihnen vorbei nicht mehr regiert werden kann.

Wer die anhaltende Erfolglosigkeit freiheitlicher und konservativer Politikansätze auf der Rechten beklagt, sollte nicht nur über Umerziehung und linke Medienmonopole jammern, sondern auch einmal nachprüfen, ob das Thema stimmt und ob ein Selbstverständnis als naturgegebenes Anhängsel bestehender Parteien immer der Weisheit letzter Schluß ist.

Amerikas Bibeltreue und Abtreibungsgegner haben sich von den Reagan- und Bush-Republikanern für ihre Wahlhilfe geduldig mit folgenlosen Phrasen und Sonntagsreden abspeisen lassen wie die deutschen Heimatvertriebenen von CDU und CSU. Die Steuerzahlerrebellion der „Tea Party“ dagegen zwingt nervös gewordene US-Republikaner, auf ihren Zug aufzuspringen oder unterzugehen.

Man stelle sich vor, der honorige Steuerzahlerbund organisierte statt fleißiger Schwarzbücher und ritueller Pressemitteilungen Steuerstreiks, Protestzüge und Kundgebungsserien. Könnte ein Westerwelle unter solchem Druck dann immer noch mit Steuersenkungs-Ringelpiez oder einer spontan angezettelten Zeitungsdebatte vortäuschen, er hätte ein drängendes Problem angepackt?

Es reicht mit dem Steuer- und Schuldenwahnsinn. Wir wollen von unserem Geld nicht immer mehr Besserwisser und Sozialbürokraten bezahlen, die uns das Leben schwer machen. Wir wollen  unser Geld nicht Schmarotzern, Bankern und Pleitestaaten in den Rachen werfen und uns nicht an EU-Politbürokraten verkaufen. Die Botschaften der amerikanischen „Tea Party“-Bewegung lassen sich ohne große Mühe auf deutsche Verhältnisse übersetzen. Worauf warten wir noch?

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