© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Der Partymeister gerät aus dem Tritt
Berlin: Lange Zeit konnte Klaus Wowereit die Hauptstadt unangefochten regieren, doch nun wächst die Kritik an seiner Amtsführung
Ekkehard Schultz

Noch vor einem Jahr wurde Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit als ein möglicher Kandidat der SPD für das Amt des Bundeskanzlers gehandelt. Doch seitdem hat der einstige Hoffnungsträger der Sozialdemokraten bei den Berlinern und selbst in den eigenen Reihen rapide an Ansehen verloren.

Laut einer Forsa-Umfrage ist mittlerweile weniger als jeder zweite Berliner mit der Politik Wowereits zufrieden. Vor zwei Jahren lag die Zustimmung noch deutlich über 60 Prozent. Noch gravierender fällt der aktuelle Absturz der Berliner SPD aus. Kamen die Sozialdemokraten bei der vergangenen Wahl zum Abgeordnetenhaus noch auf knapp 31 Prozent, so würden sie inzwischen lediglich 24 Prozent erreichen und damit nur noch knapp vor der CDU liegen, die auf 23 Prozent kommt.

Renate Künast steht in den Startlöchern

Neigt sich also die 2001 mit dem Sturz Eberhard Diepgens (CDU) begonnene Ära des zeitweise als regierender „Partymeister“ deutschlandweit äußerst populären Klaus Wowereit dem Ende zu?  Auch wenn es für politische Nachrufe derzeit noch zu früh ist und die Wahl zum Abgeordnetenhaus erst im Mai kommenden Jahr ansteht, ist Wowereit längst nicht mehr unangefochten. Zudem könnte ihm eine ernstzunehmende politische Konkurrenz erwachsen: Seit Wochen wird darüber spekuliert, ob die Grünen Renate Künast als Spitzenkandidatin ins Rennen um die Herrschaft im Roten Rathaus schicken. Der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, die sich derzeit noch bedeckt hält, aber eine Kandidatur auch nicht ausgeschlossen hat, werden durchaus Chancen eingeräumt. Laut einer Umfrage könnte sie bei einer Direktwahl derzeit mit der Unterstützung von 37 Prozent der Wähler rechnen, Wowereit käme auf 46 Prozent.

Die Ursachen für Wowereits Schwäche sind hausgemacht. Schon seit längerem stößt sein eigenwilliger Politikstil auf Kritik. Der Beginn von Wowereits Abstieg in das derzeitige Umfragetief läßt sich relativ genau bestimmen: Zu Beginn des vergangenen Jahres verkündete er, daß das Empfangsgebäude des stillgelegten innerstädtischen Flughafens Tempelhof an die Veranstalter der Modemesse „Bread & Butter“ vermietet werde – ohne daß eine vorherige Ausschreibung erfolgte. Die Opposition beklagte, daß Wowereits eigenmächtiges Vorgehen ein schlechtes Signal für alle zukünftigen Investoren sei. Auch in der eigenen Partei geriet der erfolgsverwöhnte Wowereit heftig in die Kritik.

Ebenso umstritten war Wowereits Verhalten  gegenüber der Initiative „Pro Reli“, die im vergangenen Jahr mit einem Volksentscheid für die Wahlmöglichkeit der Berliner Schüler zwischen dem Fach Ethik und dem Religionsunterricht kämpfte. Obwohl Berlin hoch verschuldet ist, wurde die Abstimmung nicht auf den Termin der Europawahl am 7. Juni 2009 gelegt, sondern fand bereits am 26. April statt, was deutliche Zusatzkosten verursachte und die Ausgangslage von „Pro Reli“ wesentlich verschlechterte. Für den CDU-Fraktionschef Frank Henkel lag dabei die Vermutung nahe, daß sich Wowereit zu diesem Schritt entschlossen hatte, um die für einen Erfolg der Volksabstimmung notwendige Wahlbeteiligung möglichst gering zu halten. Mit diesem Trick habe es der Bürgermeister geschafft, einen Erfolg der von ihm abgelehnten Initiative zumindest deutlich zu erschweren, monierte Henkel. Den Regierenden Bürgermeister mußte die Kritik nicht weiter kümmern: Er ging als Sieger vom Feld.

Als wesentlich schwerwiegender könnte sich sein Verhalten in der sogenannten  „S-Bahn-Krise“ erweisen. Im Mai 2009 entgleiste ein Zug der von der Deutschen Bahn betriebenen Berliner S-Bahn aufgrund eines Radbruchs. Nach einer Prüfung stellte das Eisenbahnbundesamt fest, daß das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn die vorgeschriebenen Werkstattintervalle über Jahre hinweg nicht eingehalten hatte. Die Berliner S-Bahn-Krise, von der zahllose Pendler bis heute betroffen sind, nahm ihren Anfang. Über mehrere Wochen hinweg mußte fast der gesamte S-Bahn-Verkehr stark eingeschränkt werden, weil ein Großteil der Züge in die Werkstätten mußte. Bis heute ist auf einem Teil der Strecken nur jeder zweite Zug im Einsatz.

Doch Wowereit überließ das Krisenmanagement weitgehend der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Zudem lehnte er eine vorzeitige Kündigung des bis 2017 befristeten Vertrages zwischen dem Land und der S-Bahn Berlin GmbH vorschnell ab, obwohl dies rechtlich möglich wäre. Statt dessen vertrat er die Auffassung, daß ein privater Anbieter ohnehin nicht in der Lage sei, kurzzeitig für sämtliche Strecken eine Alternative anzubieten.  Gleichzeitig zeigte er sich für den Ärger der Pendler, die in überfüllten S-Bahnen zur Arbeit fahren mußten, lange Zeit überraschend unsensibel.

Bei der Wahl im kommenden Jahr könnte sich Wowereits zögerliches Handeln in der S-Bahn-Krise als Weg aufs politische Abstellgleis erweisen. Noch hat Wowereit, der die Stadt bald so lange regiert wie einst Willy Brandt, alle Chancen, die Signale wieder auf Grün zu schalten. Doch die Zeit wird knapp.

Foto: Klaus Wowereit (SPD) bei einer Filmvorführung in Berlin: Den Wähler aus dem Blick verloren?

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