© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Streit um schwere Waffen
Bundeswehr: Nach dem Tod dreier Soldaten in Afghanistan ist die Ausrüstung der deutschen Soldaten erneut in die Kritik geraten
Paul Rosen

Vom früheren Heeresinspekteur Helmut Willmann stammt der Spruch: „Leicht rein – tot raus“. Gemeint war damit, daß jede Bundeswehr-Einheit, die mit zu leichten Waffen in einen Einsatz geht, viele Gefallene in Kauf zu nehmen hat. Willmann nahm in den Kosovo-Einsatz selbstverständlich schwere Kampfpanzer mit. Zum Einsatz kamen sie nicht. Aber der Leopard 2 sei ein wirkungsvolles Drohmittel. Sobald es Zusammenrottungen gebe, reiche es, den Leopard-Motor anzulassen und schon herrsche Ruhe, meinte ein Bundeswehr-Offizier seinerzeit. Willmanns Lehren wurden beim Einsatz in Afghanistan von der Politik ignoriert. Den Soldaten wurde sogar bewußt kein schweres Gerät mitgegeben, weil die Fraktionen des Bundestages (mit Ausnahme der Linksfraktion, die den Einsatz komplett ablehnt) die Bundeswehr als eine Art bewaffnetes Technisches Hilfswerk ansehen, das Brunnen bohrt sowie Schulen und Krankenhäuser baut.

Daß die Realität in Afghanistan eine andere ist, als sie im Berliner Reichstag und Verteidigungsministerium wahrgenommen wird, zeigen erneut die drei Gefallenen, derer in der vergangenen Woche im niedersächsischen Selsingen  in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel gedacht wurde. Die jungen Männer könnten vielleicht noch leben, wenn die Truppe besser ausgerüstet wäre.

Die Argumentation des Verteidigungsministeriums gegen den Einsatz des schweren Kampfpanzers Leopard ist schon fast dümmlich. Da behauptete ein Ministeriumssprecher, viele Brücken könnten den 60 Tonnen schweren Panzer nicht tragen und die Wege in den Dörfern seien zu schmal, so daß der Panzer nicht durchkomme. Die Schönwetterkrieger im Verteidigungsministerium scheinen noch nicht begriffen zu haben, daß der Kampf im Gelände stattfindet und nicht auf Straßen, die es zudem in Afghanistan selten gibt. Schließlich steht der Soldat „im Felde“ und nicht auf der Brücke.

Was der Truppe in Afghanistan auch dringend fehlt, ist Artillerie wie die Panzerhaubitze 2000. Sie hat mit ihrem 155-Millimeter-Geschütz eine Reichweite über 40 Kilometer. Damit könnte in Gefechten endlich Artillerie zum Einsatz kommen, auf die andere Armeen in Afghanistan längst zurückgreifen. Gegen die Haubitze hat der neue Generalinspekteur Volker Wieker keine Bedenken, wohl aber gegen den Leopard mit seiner 120-Millimeter-Kanone. Der Panzer habe keine abschreckende Wirkung: „Außerdem müssen wir uns fragen, wie wir auf die Bevölkerung wirken, wenn wir mit Panzern anrücken. Wir wollen die Menschen beschützen und nicht verschrecken.” Wer so spricht, auf den trifft die Einschätzung des scheidenden Wehrbeauftragten Reinhold Robbe zu, der den Eindruck hat, „daß die Realitäten wie jetzt in Kundus zu wenig von der militärischen Führung wahrgenommen werden“. Robbe muß sich jedoch auch vorhalten lassen, daß er erst zum Ende seiner Amtszeit zur klaren Aussprache findet, obwohl die schweren Ausrüstungsmängel seit Jahren in allen internen Berichten nachzulesen sind. Erfrischend formuliert hingegen der designierte Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus: „Wer in das Kanonenrohr eines Leopard 2 schaut, überlegt sich zweimal, ob er eine deutsche Patrouille angreift.“ Das ist genau die Wirkung von schweren Waffen, die Willmann beschrieben hat.

Aber der Bundeswehr fehlt in Afghanistan noch mehr. Aus noch unklaren Gründen gab es beim jüngsten Gefecht in Kundus keine Luftunterstützung. Angeblich zierten sich die amerikanischen Streitkräfte, weil sie den Tod von Zivilisten befürchteten. Eigene Luftkräfte hat die Bundeswehr in Afghanistan nicht. Die dort stationierten Tornados verfügen nur über Aufklärungsmittel. Und Kampfhubschrauber gibt es nicht. Die bestellten neuen Hubschrauber „Tiger” funktionieren nicht. Das Heer besitze immer noch keinen Tiger, der zu mehr tauge als zur Pilotenschulung, spottete der ehemalige Spiegel-Korrespondent Alexander Szandar in der Fachzeitschrift Strategie & Technik. Unzureichend ist der Schutz gegen Minen. Fahrzeuge wie der Transportpanzer Fuchs und der Schützenpanzer Marder sind Produkte aus der Zeit des Kalten Krieges. Den neuen Erfordernissen konnten sie nur unzureichend angepaßt werden. Der schnell entwickelte Dingo hat einen guten Schutz, aber eine schlechte Bewaffnung. Es gibt außerdem viel zu wenig Dingos. Und ein neuer Schützenpanzer soll erst in einigen Jahren zum Einsatz kommen.

In internen Berichten wie in dem von der Bild-Zeitung zitierten Bericht von Brigadegeneral Jörg Vollmer wird auch die Munition bemängelt. Die eingesetzten Hartkerngeschosse hätten keine „Mannstoppwirkung“, klagt der General – das heißt, getroffene Taliban können trotzdem noch weiterkämpfen. Es muß offenbar viel Munition zur Ausschaltung des Gegners verbraucht werden, so daß den Soldaten die Munition knapp wird.  Vollmer verlangt eine „Steigerung der Waffenwirkung” – übrigens auch der Waffen an Fahrzeugen, weil die Bewaffnung von Dingo und Marder keine Hauswände durchschlagen kann. Artillerie oder der Leopard können das natürlich. 

Die unzureichende Bewaffnung der Soldaten ist ausdrücklich im Einsatzbeschluß des Bundestages festgeschrieben. Und dort liegt auch die Verantwortung für die Misere.

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