© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Rechtsrutsch an der Donau
Ungarn: Konservative von Ex-Premier Orbán gewinnen Parlamentswahlen / Rechtsnationale dritte Kraft / Sozialisten und Liberale abgewählt
Ivan Denes

Seit dem Systemwechsel von 1989 ist es in Ungarn Tradition, daß sich bürgerliche Parteien und die postkommunistischen Sozialisten (MSZP) beim Regieren abwechseln. Bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag wurde die seit acht Jahren regierende MSZP mit 19,3 Prozent (2006: 43,3 Prozent) auf die Oppositionsbänke verbannt. Ihr einstiger Koalitionspartner, der linksliberale Bund Freier Demokraten (SZDSZ), verschwand trotz des Wahlbündnisses mit dem wirtschaftsliberalen Demokratenforum (MDF/2,7 Prozent) im politischen Orkus.

Klarer Sieger wurde die bürgerlich-sozialkonservative Partei Fidesz von Ex-Premier Viktor Orbán, die im Bündnis mit den Christdemokraten (KDNP) 52,7 Prozent einfahren konnte. In der zweiten Wahlrunde am 25. April könnte daraus eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Sitze werden. Absehbar war der Aufstieg der umstrittenen „Bewegung für ein besseres Ungarn“ (Jobbik) des 31jährigen Gábor Vona. Die Rechtsnationalen fuhren 16,7 Prozent ein. Im armen Ostungarn überholte die auch mit linkspopulistischen Parolen werbende Jobbik mit bis zu 27 Prozent sogar die MSZP. 2006 war Jobbik (im Bündnis mit der altrechten MIÉP des Schriftstellers István Csurka) mit 2,2 Prozent noch an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Eine Überraschung gelang der grünen Alternativpartei LMP – sie schaffte mit 7,5 Prozent auf Anhieb den Sprung ins Parlament. Das politische Spektrum Ungarns hat sich damit nach rechts verschoben. Es bleibt polarisiert. Diese Spezifik verschärfte sich schon 2006, als wenige Monate nach der Parlamentswahl die „Lügen-Rede“ des damaligen MSZP-Premiers Ferenc Gyurcsányi bekannt wurde. Darin sprach der „Privatisierungsmillionär“ und einstige Funktionär des kommunistischen Jugendverbandes KISZ offen darüber, wie die Wählerschaft in bezug auf die reale Lage des Landes belogen wurde.

Der damals nur knapp unterlegene Orbán inszenierte mit seiner Fidesz-Opposition daraus landesweite Proteste, die eine Staatskrise auslösten. Doch Gyurcsányi harrte bis Anfang 2009 aus. Im Zuge der Weltfinanzkrise wurde dann sein früherer KISZ-Kamerad Gordon Bajnai Chef eines Expertenkabinetts, das dafür sorgte, daß Ungarn dank einer internationalen 20-Milliarden-Hilfe dem Staatsbankrott entging.

Verklärung der glorreichen Vergangenheit in der Krise

Die Wirtschaftslage der einst lustigsten Baracke des Ostblocks, die schon vor der Wende mit Reformen begonnen hatte, bleibt dennoch dramatisch. Ungarn hat mit 61 Prozent die zweitniedrigste Erwerbsquote in der EU, in Deutschland sind es 80 Prozent. Nur 2,6 der zehn Millionen Einwohner sind offiziell als Arbeitnehmer registriert, es gibt etwa 700.000 Staatsdiener. Die Arbeitslosenquote kletterte auf zwölf Prozent. Orbán, der bereits von 1998 bis 2002 regierte, hat die Schaffung von einer Million neuer Arbeitsplätze innerhalb der nächsten zehn Jahre versprochen – bei gleichzeitigen Steuersenkungen.

Sollte ihm das nicht gelingen, muß er nicht unbedingt mit einer Abwahl rechnen, denn zu seinen Plänen gehört die Verleihung der ungarischen Staatsangehörigkeit an die drei Millionen Ungarn, die als Minderheit in Rumänien, der Ukraine, der Slowakei oder Serbien leben. Wenn sie auch das ungarische Wahlrecht bekommen, würde sich Fidesz eine dankbare Klientel sichern. Ein Großteil der ungarischen Bevölkerung hat die Gebiets- und Bevölkerungsverluste nach dem Ersten Weltkrieg bis heute seelisch nicht verkraftet.

In der Krise klammert sich das Volk an seine glorreiche Vergangenheit – und Fidesz griff dies geschickt auf. Ursprünglich war Fidesz nur die freche Jugendorganisation des maßgeblich von jüdischen Budapester Intellektuellen beeinflußten SZDSZ, der eine zentrale Rolle in der Oppositionsbewegung der Wendezeit gespielt hat. Während sich MDF und SZDSZ ins Aus manövrierten, hat Fidesz seit der ersten freien Wahl 1990 (8,9 Prozent) beständig zugelegt – dank eines Schwenks nach rechts. Den verzieh Orbáns früherer politischer Ziehvater, der 2009 verstorbene Otto Graf Lambsdorff, nicht. Der einstige FDP-Chef betrieb daraufhin den Ausschluß aus der Liberalen Internationale – Fidesz wechselte 2000 zur Europäischen Volkspartei (EVP), der auch CDU, CSU und ÖVP angehören.

Zum Sammelbecken für den rechten Rand und enttäuschte MSZP-Wähler entwickelte sich Jobbik. Mit der 2007 von Vona gegründeten Ungarischen Garde hat die Partei einen latent militanten Arm (JF 36/07). Ihr Trägerverein ist inzwischen verboten, denn die Garde-Uniformen erinnern an die ungarischen Pfeilkreuzler, die sich 1944 aktiv am Holocaust beteiligten. Wie schon im Europawahlkampf machte Jobbik aber vor allem erfolgreich Stimmung gegen die große Zigeuner-Minderheit. Dieses im Westen unterschätzte soziale Problem ist – ähnlich wie in ganz Mittelosteuropa – praktisch unlösbar. Wenn Jobbik seine radikalen Vorschläge zur Eindämmung der „Zigeuner-Kriminalität“ nun als zweitstärkste Oppositionspartei ins Parlament einbringt, dürfte dies international für Aufsehen sorgen.

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