© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Friedensmission ohne den Dank des Vaterlandes
Heike Groos, Oberstabsärztin der Bundeswehr, über das Leben und Sterben deutscher Soldaten in Afghanistan
Fabian Schmidt-Ahmad

Nirgendwo wird das gestörte Verhältnis der Deutschen zu sich als Volk deutlicher als am Umgang mit ihren Soldaten. Alleine schon die Frage, ob sich Deutschland nun in einem Krieg befinde oder deutsche Soldaten auf „Friedensmissionen“ umkommen, kann für einen Außenstehenden nur bizarr anmuten. Doch wie gehen unsere Soldaten selbst mit dieser Situation um? Was bedeutet es, von unserer Regierung in einen Krieg geschickt zu werden, sein Höchstes hinzugeben, um dann festzustellen, wie dieses Opfer weitgehend ignoriert oder geradezu verärgert zurückgewiesen wird?

Heike Groos, die als Oberstabsärztin der Bundeswehr mehrere Einsätze in Afghanistan absolvierte, war der leitende Notarzt an jenem 7. Juni 2003, als der bisher schwerste Anschlag auf Bundeswehrsoldaten vier Menschenleben forderte und dreißig weitere Soldaten verletzte – nicht mitgezählt jene Verwundungen, die äußerlich nicht sichtbar nach Jahren auftreten. Selbst Groos, die in zwei Jahrzehnten als Notärztin genug menschliches Leid erlebte, bevor sie für den Kriegseinsatz reaktiviert wurde, zerbrach daran. Denn eines hatte man ihr nicht gesagt: daß sie und ihre Kameraden in den Krieg ziehen.

„Posttraumatisches Streß-Syndrom“ lautete die Diagnose für jene Soldaten, die – manche erst nach Jahren – auf einmal seitlich aus dem Alltag herausgleiten: die in sich nichts mehr spüren außer Schmerz, die in sich keine Kraft mehr finden, zu leben; keine Kraft vor allem, um sich gegen die Erinnerungen zu wehren, die Welle auf Welle auf sie einstürzen. Groos hat sich selbst geheilt. Dieses Buch war ihre Methode. Wie Splitter setzt sie ihr Leben hier wieder neu zusammen, aus Einzelheiten werden Muster wie in einem Kaleidoskop. Es ist ein Bericht geworden, nicht nur über ihre Einsätze in Afghanistan.

Mit scharfem Blick beobachtet Groos ihr Umfeld: wie die Soldaten miteinander umgehen, wie sie gefallener Kameraden gedenken, das Leben untereinander organisieren, den Kontakt zur Bevölkerung gestalten. Vor allem aber, wie sich Menschen unter den extremen Bedingungen des Krieges verhalten. Keine Weltoffenheit, ein Panzer elementarster Prinzipien ist es, mit dem sich der Landser kleidet. „Er ist eine dreckfressende Kampfsau voller Scheißangst. Daß er eine Kampfsau ist, gibt ihm ein Gefühl der Stärke, daß er gemeinsam mit den anderen den Dreck der Straße frißt, ein Gefühl der Verbundenheit, und die Angst macht ihn wachsam.“

Besitzt dieses Buch eine politische Botschaft? „Die üblichen Dinge, aus denen Kriege angezettelt werden, Geld, Öl, Macht, Land, Religion, dafür interessiert sich wohl an der Front kein Schwein“, schreibt Groos. „Ich glaube vielmehr, daß jeder Soldat an der Front, egal in welchem Krieg dieser Erde, nach kürzester Zeit jede Ideologie vergißt und hinfort nur noch mit dem eigenen Überleben und dem Überleben derer, die ihm wichtig sind, beschäftigt ist. Mancher schon am Ende des ersten Tages, mancher am zweiten und manche erst nach einer Woche oder einem Monat.“

Es ist eine eigene Welt, die für die Soldaten zur eigentlichen Welt geworden ist. Wie Fremdkörper werden Politiker in ihren Schutzwesten hineingespült, ein jeder ahnungslos in diesem Land, um ein paar Fototermine später das Lager wieder zu verlassen. Surreale Begegnungen zwischen Verantwortlichen und den sich danach wieder selbst überlassenen Soldaten. Auch die militärische Führung zeigt ihre ganze Unkenntnis, als beispielsweise ein grotesker und entwürdiger Streit um passende Särge für die gefallenen Bundeswehrsoldaten entbrennt. Dabei kommt es zu Beobachtungen, die man längst vergangenen Zeiten angehörig glaubte. Als Groos von ihrem ersten Einsatz zurückkehrte, eilte sie voller Vorfreude zu ihren Kindern. „Ich betrat den Hof, und da waren sie.“ Doch diese erkannten die fremde Frau zunächst nicht. „Nur die Hunde, die rannten freudig auf mich zu und sprangen an mir hoch.“ Nicht bloß durch die ähnliche Form wird man auch an Ernst Jüngers Verarbeitung der Weltkriegserlebnisse in den „Stahlgewittern“ erinnert.

Denn es sind die gleichen Prozesse, denen man in diesem oder jenem Krieg mehr oder minder stark unterworfen ist. So unendliche Facetten der Mensch auch individuell ausgeprägt haben mag, im Krieg kann hierauf keine Rücksicht genommen werden. Reduziert auf den bloßen Willen zum Überleben, wird auch der Mensch selbst allmählich reduziert – bis zu dem Punkt, wo etwas in ihm zerbricht: die Fähigkeit, zu empfinden, zu trauern, sich als Mensch zu fühlen.

Groos hat diesen Punkt aufgesucht und sich Stück für Stück wieder in das Leben hineingearbeitet. Es ist diese unbedingte Wahrhaftigkeit in der Beobachtung, welche dieses Buch so berührend macht. Gewidmet ist es den Afghanistan-Veteranen, schreibt sie in ihrem Nachwort. „Damit sie erfahren, daß sie ‘Einzelschicksale’ sind, wie jeder Mensch etwas Besonderes und einzigartig sind, daß sie wahrgenommen und geschätzt werden.“ Deutsche mögen es hören.

Heike Groos: Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan. Krüger Verlag, Frankfurt a. M. 2009, gebunden, 272 Seiten, 18,95 Euro www.heikegroos.de

Foto: Heimkehr gefallener deutscher Soldaten in einer Frachtmaschine der Luftwaffe: Die Soldaten sind nur noch mit dem eigenen Überleben und dem Überleben derer, die ihnen wichtig sind, beschäftigt

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